Dienstag, 16. Dezember 2025

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Klimageschichte(n): Als die Weser noch in den Rhein floss

Von Flussläufen, Gletschern und Mammuts: Petershagens eiszeitliche Vergangenheit. Eine faszinierende Zeitreise zeigt, wie Eiszeiten, Permafrost und sedimentäre Ablagerungen das Wesertal gestalteten – inklusive versteckter Spuren von Mammuts.
Die Weserverläufe zu Beginn und während des Eiszeitalters (nach Daten von Peter Rode, ehemals niedersächsisches Landesamt für Bodenforschung).
Die Weserverläufe zu Beginn und während des Eiszeitalters (nach Daten von Peter Rode, ehemals niedersächsisches Landesamt für Bodenforschung).

Von Dr. Dietmar Meier

Petershagen. Können Sie sich vorstellen, von Petershagen nach Lahde zu fahren, ohne die Weser überqueren zu müssen? Vor 500.000 Jahren war das noch möglich! Dass es dazu jetzt einer Brücke bedarf, ist eine direkte Folge der mehrfachen Klimaänderungen, die auch unser Stadtgebiet in der jüngeren geologischen Vergangenheit erlebt hat.

Aus den heute noch erhaltenen Vorkommen von Kiesen und Sanden, die die Weser im Laufe ihrer Geschichte transportiert und abgelagert hat, haben Geowissenschaftler den Flussverlauf über einen Zeitraum von mehr als zwei Millionen Jahren rekonstruiert. Die Weser bog vor dem Beginn der Vereisungsphasen des jüngsten Eiszeitalters unter den warmzeitlichen Bedingungen bereits auf der Höhe von Hameln nach Nordosten ins heutige Leinetal ab. Anschließend passierte sie Hannover und schwenkte danach in Richtung Nienburg. Auf der abgebildeten Karte ist dieser Flussverlauf vor Beginn der Vereisungen in gelb als sogenannte Oberterrasse eingetragen.
Das änderte sich, als im Zuge einer kräftigen Abkühlung des Klimas vor etwa 700.000 Jahren gewaltige Inlandeismassen von Skandinavien über die Ostsee nach Norddeutschland vorstießen. Die Gletscher, die sich während der ersten Vereisungsphase, der sogenannten Elster-Kaltzeit, bis an die Mittelgebirge heran schoben, blockierten nun den ursprünglichen Weg des Flusses nach Norden. Auf der Höhe von Hameln nach Westen abgelenkt folgte die Weser daraufhin dem Nebental südlich von Süntel und Wesergebirge.
Mit dem Abtauen des Elster-Eises wurde der Weg durch das Nadelöhr Porta Westfalica frei. Die Weser schwenkte damals allerdings nördlich der Porta in Richtung Westen und mündete schließlich westlich von Gronau in den Rhein.

Kiese und Sande der Mittelterrasse, die zu dieser Zeit im Weserbett abgelagert wurden, zeichnen nördlich der Porta zwei getrennte Flussläufe nach (auf der Karte in hellgrün dargestellt). Der erste folgte einer Senke am nördlichen Fuß des Wiehengebirges, dem Bereich, wo sich heute das Hiller Moor befindet. Der zweite verlief zunächst ein Stück im heutigen Wesertal nach Norden, um dann ebenfalls in Richtung Osnabrück abzubiegen. Zu diesem nördlichen Zweig der Mittelterrasse gehören auch die kleinen Vorkommen von Kies und Sand im Raum Eldagsen-Meßlingen-Südfelde. Sehr schön aufgeschlossen waren diese Sedimente, die deutlich über dem Niveau der heutigen Weseraue liegen, bei den Renaturierungsmaßnahmen an der Ösper, die 2023 in Maaslingen durchgeführt worden sind.
Der Eisvorstoß während der folgenden Saale-Kaltzeit, bei der sich Eismassen wieder bis an das Weser-Wiehengebirge vorschoben, blockierte erneut den Abfluss der Weser. Erst als sich das Eis zum Ende der Saale-Kaltzeit vollständig aus unserer Region zurückgezogen hatte, suchte sich die Weser einen direkten Weg nach Norden.

Profil einer Kiesgrubenwand in Bierde. Foto: ddm/Archiv
Profil einer Kiesgrubenwand in Bierde. Foto: ddm/Archiv

Seine endgültige Ausgestaltung erhielt das Wesertal im Stadtgebiet, als sich das Klima in der Folge während der Weichsel-Kaltzeit zum dritten Mal deutlich abkühlte. Erneut stießen mächtige Gletscher nach Norddeutschland vor, diesmal allerdings nur bis auf Höhe von Hamburg. Das Stadtgebiet von Petershagen lag jetzt in einer eisfreien Tundra südlich der Gletscherfront, wo ein „sibirisches“ Klima herrschte und der Boden tiefgründig durchgefroren war. Im Wesertal werden Unmengen von Gesteinsschutt aus den Mittelgebirgen abgesetzt, die Niederterrasse (in der Karte in dunkelgrün dargestellt).
Im Vergleich mit dem eiszeitlichen Flusssystem, dass nördlich der Porta Westfalica eine 3 bis 5 Kilometer breite Rinne in den Untergrund gefräst und mit Kies und Sand aufgefüllt hat, ist die heutige Weser nur noch ein schmales Relikt, dessen Ufer weitgehend durch Buhnen vor der Seitenerosion des Flusses geschützt werden.
Der Übergang von der letzten Kaltzeit zur heutigen Warmzeit war an einer Kiesgrubenwand in Bierde eindrucksvoll dokumentiert (Foto). Im unteren Teil des Profils lagert eiszeitlicher Kiessand (K), im oberen Teil Auelehm (A), der nach Ende der Kaltzeit bei Überflutungen der Talaue abgesetzt worden ist. Etwa in der Bildmitte ist ein geologischer Klimaindikator zu erkennen, ein sogenannter Tropfenboden (T). Tropfenböden bilden sich in Permafrost-Gebieten vor dem Rand des Inlandeises. Im Sommer taut dort nur die oberste Bodenschicht bis in geringe Tiefe auf. Meist ist diese Schicht dann stark wassergesättigt, da der weiterhin gefrorene Untergrund das Versickern des Wassers verhindert. Wenn in dieser aufgetauten Bodenschicht Ton- oder Lehmablagerungen über sandigen Schichten lagern, kann es dazu kommen, dass sich der spezifisch schwerere Ton/Lehm plastisch verhält und langsam in den wassergesättigten Sand einsinkt. Dabei entstehen tropfenförmige Strukturen, die der Bodenverformung ihren Namen geben.
Mit etwas Glück kann man in den heimischen Kiesgruben auch noch andere Zeugnisse aus der eiszeitlichen Vergangenheit finden: Teile von Stoßzähnen oder Backenzähne eines Mammuts, das in der „Petershäger Tundra“ zuhause war.

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