Dienstag, 23. April 2024

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Atommüll-Endlager im Kreis Minden-Lübbecke?

Ein Endlager für hochradioaktive Abfallstoffe im Kreis Minden-Lübbecke, vielleicht sogar direkt in der Stadt Petershagen, ist das vorstellbar?

Foto: Grafik: TUBS

Petershagen (ddm). Ein Endlager für hochradioaktive Abfallstoffe im Kreis Minden-Lübbecke, vielleicht sogar direkt in der Stadt Petershagen, ist das vorstellbar? Schaut man sich die aktuellen Entwicklungen bei der Suche nach einem Standort für ein Endlager an, ist das Thema näher, als man vielleicht denken möchte. Wir werfen deswegen einmal einen Blick auf die Zusammenhänge.

Neustart

Nachdem das Thema Gorleben nach vielen Kontroversen zu den Akten gelegt worden war, wurde die Suche nach einem Standort, an dem hochradioaktive Abfallstoffe für die Zeitdauer von einer Million Jahren sicher gelagert werden können, wieder „auf Anfang“ gestellt. Dafür wurde im Juli 2013 zunächst auf Bundesebene ein Standortauswahlgesetz (StandAG) als rechtliche Grundlage erlassen. Im Anschluss erarbeitete eine beim Bundestag angesiedelte Endlagerkommission unter Vorsitz von Ursula Heinen-Esser (heute Umweltministerin von NRW) und Michael Müller Empfehlungen für die Methodik der Standortsuche, auf dessen Basis das Standortauswahlgesetz 2017 fortentwickelt wurde. Damit waren die Suchkriterien für den Endlagerstandort vor Beginn des Suchverfahrens festgeschrieben. 

Offiziell startete die neue Suche am 5. September 2017 mit dem Ziel, den bestgeeigneten Standort bis zum Jahr 2031 zu ermitteln und dann durch Beschluss des Bundestages festzulegen. Als Vorhabenträger wurde die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) gegründet, der auch die Aufgaben rund um die übrigen Anlagen zur Lagerung von radioaktivem Müll (Schacht Konrad, Morsleben und Asse) unterliegen.

Im BGE-Zwischenbericht ausgewiesene Teilgebiete im Kreis Minden-Lübbecke für Tongesteine aus der Unterkreide (oben) und dem Mittleren Jura (rechts). Aus der Stellungnahme des Geologischen Dienstes NRW – Landesbetrieb – zum Zwischenbericht Teilgebiete (Stand 28.9.2020) der BGE, zu finden via www.gd.nrw.de.

 

Transparenz

Vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit Gorleben wurde gesetzlich verankert, dass das Auswahlverfahren in besonderem Maße auf Transparenz setzen soll. Die Öffentlichkeit ist demgemäß frühzeitig umfassend zu informieren und erhält weitreichende Beteiligungsmöglichkeiten. Im §5 des StandAG heißt es: „Ziel der Öffentlichkeitsbeteiligung ist, eine Lösung zu finden, die in einem breiten gesellschaftlichen Konsens getragen wird und damit auch von den Betroffenen toleriert werden kann. Hierzu sind Bürgerinnen und Bürger als Mitgestalter des Verfahrens einzubeziehen.“

Verantwortlich für die Umsetzung ist das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE), das im Gesetz verpflichtet wurde, eine Internetplattform mit einem Informationsangebot anzulegen, „in dem die das Standortauswahlverfahren betreffenden wesentlichen Unterlagen des Bundesamtes und des Vorhabenträgers nach § 10 des Umweltinformationsgesetzes zur Verfügung gestellt werden.“ Damit soll sichergestellt werden, dass fachliche Datensammlungen, Gutachten und Stellungnahmen von jedermann zu jeder Zeit eingesehen werden können, einfach online von zuhause. Auf dem gleichen Weg können auch Anmerkungen zu den Standortregionen gemacht werden, die dann in die weitere Arbeit der BGE einfließen sollen. 

Vorrang für Geologie

Wie von der Endlagerkommission empfohlen, gilt auch für das neue Verfahren die Festlegung, dass der hochradioaktive Müll in Gesteinsschichten in größerer Tiefe gelagert werden soll. Angesichts des unglaublich langen Zeitraums, über den die Abfälle isoliert werden müssen – selbst nach mehreren 100.000 Jahren (!) müssen die Sicherheitsmaßnahmen noch greifen -, ist die „geologische Barriere“ der wichtigste Faktor, der hochradioaktive Abfälle von Mensch und Umwelt abschirmen soll. 

Aufgrund der von hochradioaktiven Abfällen ausgehenden Strahlung und Wärmeentwicklung stellen sich besondere Anforderungen an das Wirtsgestein, in dem ein Endlager errichtet werden kann. In Deutschland kommen dafür drei Gesteinstypen in Betracht: Tongesteine, Steinsalz oder Kristallingesteine.

Methodik

Das Ziel für die erste Etappe: Bereiche auszuweisen, die günstige geologische Voraussetzungen für eine sichere Endlagerung bieten könnten. Dazu wurden vorab Ausschlusskriterien, Mindestanforderungen und geowissenschaftliche Abwägungskriterien bestimmt. Zu den Ausschlusskriterien gehören unter anderem seismische oder vulkanische Aktivitäten in einer Region, aktive Störungszonen oder großräumige Vertikalbewegungen in der Erdkruste, aber auch Auswirkungen vergangener oder aktueller Bergbautätigkeiten. Wenn auch nur eines der Ausschlusskriterien erfüllt ist, kommt das betreffende Gebiet nicht als Endlagerstandort in Betracht und fällt aus dem weiteren Suchprozess heraus.

Bei den Mindestanforderungen, die zwingend erfüllt sein müssen, geht es um die Barrierewirkung des Gesteins beziehungsweise des Gebirgsbereiches, in dem das Endlager errichtet werden soll. Hier sind unter anderem die Tiefenlage, die Mächtigkeit, die Durchlässigkeit und die Standfestigkeit des betreffenden Gebirgsbereiches relevant. Grundbedingung im ersten Schritt des Verfahrens war, das eines der drei Wirtsgesteine (Tongestein, Salz, Kristallin) bei einer Mächtigkeit von mindestens 100 Meter in einer Tiefe zwischen 300 und 1.500 Metern unter der Geländeoberfläche vorkommt.

Die geowissenschaftlichen Abwägungskriterien (11 an der Zahl) beinhalten eine Bewertung der zuvor ermittelten Gebirgsbereiche in Bezug auf Eigenschaften, die für die langfristige Lagerung hochradioaktiver Abfälle relevant sind. Dazu gehört unter anderem die Frage, inwieweit ein Transport radioaktiver Stoffe durch Grundwasserbewegungen rund um ein potentielles Endlager möglich wäre, wie auch die Frage, wie es um die Temperaturverträglichkeit und die Stabilität des dort vorkommenden Gesteins bestellt ist. Unterschieden wurde an dieser Stelle nur qualitativ in vier Abstufungen (günstig, bedingt günstig, weniger günstig, nicht günstig).

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Zwischenbericht 2020

Am 28. September 2020 hat die BGE mit dem Zwischenbericht die Ergebnisse des ersten Untersuchungsabschnittes vorgelegt. Kern des Berichtes sind Kartendarstellungen der sogenannten „Teilgebiete“, die nach Anwendung der Ausschlusskriterien, Mindestanforderungen und Abwägungskriterien aus Sicht der BGE günstige geologische Voraussetzungen in einem der drei Wirtsgesteine erwarten lassen. Auf vier der Karten sind Bereiche innerhalb des Kreises Minden-Lübbecke ausgewiesen. Drei davon betreffen Tongesteine, die in unterschiedlichen geologischen Zeiträumen entstanden sind und heute in unterschiedlichen Tiefenlagen vorkommen (für Fachkundige: im Lias, im Dogger und in der Unterkreide). Die vierte verweist auf ein mögliches Steinsalzvorkommen im Grenzbereich Oberer Jura/Unterkreide.

Kritikpunkte

Die für die Studie verwendeten Fachdaten wurden größtenteils von den Staatlichen Geologischen Diensten an die BGE geliefert. Da erstaunt es schon, wenn es aus eben diesen Geologischen Diensten kritische Anmerkungen zum BGE-Bericht kommen. 

So weist der Geologische Dienst NRW unter anderem darauf hin, dass die in NRW ausgewiesenen Teilgebiete flächenmäßig oft deutlich zu groß ausgefallen sind und manche Ausweisungen der BGE anhand der Datenlieferungen des Geologischen Dienstes nicht bestätigt werden können.

„Bauchschmerzen“ haben die Fachleute aus Krefeld auch mit der Bewertung, die anhand der Abwägungskriterien vorgenommen wurde. Denn dafür wären gebietsspezifische Informationen erforderlich, die aber, wie der Geologische Dienst formuliert, für viele der auf den Karten dargestellten Gebiete „nicht oder nicht in ausreichendem Maße vorliegen“. 

Kritikpunkt auch: die BGE hat angesichts mangelnder lokaler Informationen mit „Referenzdaten“ über Eigenschaften der drei Wirtsgesteinstypen gearbeitet. Der Stellungnahme der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe ist zu entnehmen, dass diese beim Tongestein „vorwiegend aus Erkenntnissen ausländischer Standorte zusammengestellt“ sind.

Zum besseren Verständnis: Stellen Sie sich vor, Sie möchten einen Apfelkuchen backen. Dafür können Sie aus einer Anzahl von Obstkörben aber nur einen auswählen. Weil es dunkel ist, können Sie aber nicht wirklich feststellen, welches Obst und wieviel Äpfel sich in welchem Korb befinden. Sich unter diesen Bedingungen für einen Korb zu entscheiden, hat erstmal etwas von einem Glücksspiel. Man könnte ja einen Korb erwischen, in welchem sich Zitronen oder vielleicht auch nur Zitronen befinden. Folglich wäre Ihnen als Bäcker sicher jede möglichst frühe Information über die Körbe willkommen.

Auch wenn der Vergleich natürlich nicht ganz passt: wenn Geowissenschaftler mit umfassenderen regionalen Kenntnissen auf den jetzt von der BGE vorgelegten Karten  offensichtliche „Zitronen“ entdecken, sorgt das natürlich für Falten auf der Stirn.

Die Fachleute aus NRW stehen mit ihrer Kritik nicht allein da. So formuliert das Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau Baden-Württemberg: „Das einheitliche Vorgehen bei der Anwendung der Ausschlusskriterien, Mindestanforderungen und schließlich der geowissenschaftlichen Abwägungskriterien (falls aufgrund der Datenlage möglich) führt zwangsläufig zu einer Pauschalisierung und Generalisierung; regionale oder lokale geologische Spezifika werden nicht mehr  aufgelöst oder durch den methodischen Prozess entfernt.“

Im Gespräch begründete Monika Hotopp, Pressesprecherin der BGE, die Darstellungen im Zwischenbericht mit dem Bestreben der BGE, einen möglicherweise geeigneten Standort nicht von vornherein außen vor zu lassen. Für den nächsten Schritt, der übertägigen Erkundung, sieht sie sehr viel weniger und sehr viel kleinere Bereiche in der Kartendarstellung: „Im Schritt zwei der ersten Phase werden wir die Standortregionen vorstellen, die wir uns übertägig gerne anschauen würden.“ Dort sollen dann die geologischen Verhältnisse näher erkundet werden, unter anderem durch 3D-Seismik und mit Bohrungen. Ziel wäre es, am Ende der übertägigen Erkundung sagen zu können: „Wir haben noch X Standorte, die wir untertägig erkunden.“ Dort sollen dann Bergwerke aufgefahren werden, analog zu Gorleben.

Offene Augen im Kreis

Angesichts der Ausweisung potentieller Endlagerbereiche im Bereich des Kreises Minden-Lübbecke wird die Entwicklung von der Kreisverwaltung aufmerksam verfolgt. Im Februar wurden die Bürgermeister der Städte und Gemeinden des Kreises über den Sachstand informiert, berichtet Lutz Freiberg, Leiter des Dezernats Bauen und Umwelt. Die Politik soll in der nächsten Sitzung des Bauausschusses einbezogen und dort gegebenenfalls das weitere Verfahren abgestimmt werden, sollten Gebiete des Kreises auch in der nächsten Phase der Endlagersuche weiter im Suchraum verbleiben. Erfolgt ist zwischenzeitlich auch ein informeller Austausch mit der heimischen Bürgerinitiative „Stoppt den Giftmüll – Wir wehren uns“.

In der nächsten Ausgabe werfen wir einen Blick auf die geologischen Verhältnisse im Kreisgebiet, die bei der Endlagersuche relevant sind.

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