Donnerstag, 28. März 2024

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„Kaffeefahrt nach Grashoff war das Erlebnis für die Mindener“

Todtenhausen. „Unfälle an der ‚Todeskurve Grashoff’ kann ich nicht bestätigen“, antwortet eine Zeitzeugin auf unseren Bericht zum Straßenverlauf der alten B61. Aber zum ehemaligen Hotel habe die Mindenerin eine Menge zu erzählen. So waren es doch ihre Eltern, die es in den 1950er Jahren führten.

„Tödliche Unfälle in der Kurve Am Thorn gab es auf der alten B61, aber vor Grashoff meines Wissens nach nicht“, erklärt Waltraud Meyer (geborene Wolfgram). „Seitdem meine Eltern 1953 das Hotel pachteten, habe ich nur von einem umgekippten Bananen-Lkw gehört. Erst mit der Begradigung der Bundesstraße zehn Jahre später fingen die Probleme an. Eine Frau, die von der ‚Spatzenburg’ kommend die Schnellstraße überquerte, wurde beispielsweise von einem Raser überfahren. Und drei Handballer starben bei einem Autounfall, woraufhin alle Zeugen im großen Saal des Hotels vernommen wurden“, erinnert sie sich.

In den 1970er Jahren konnten die Gäste auf der Terrasse die Sonne genießen beim Hotel- und Waldrestaurant Grashoff.

Sodann sei zu sagen, dass das „Hotel Grashoff“ viele Namen hatte. Ursprünglich „Graßhoff“ geschrieben, benannt nach der damaligen Eigentümerin und Vermieterin Dorothea Graßhoff, war es als „Gasthof Grashoff“, „Hotel und Gaststätte Graßhoff“, „Hotel- und Waldrestaurant Grashoff“ (1970er) und zuletzt als „Rasthaus Grasshoff“ bekannt, jedoch stets unter der Anschrift „An der B61 – Bremer Straße 83“.

Wobei Meyer auch den „Bahnhof Graßhoff“ wachruft: „Hinter dem Hotel verliefen die Schienen und es gab sogar ein Wartehäuschen.“ Mit mächtig Dampf aus dem Kessel hielt hier die Mindener Kreisbahn (MKB), die die Gäste aus Minden-Stadt direkt zum Hotel beförderte und darüber hinaus. „Die Kaffeefahrt nach Grashoff war das Erlebnis für die Mindener.“

Schließlich beinhaltete das Hotel, in dem sie und ihre zwei Kinder aufwuchsen, einen großen Festsaal für 200 Personen im Haupthaus, einen Anbau mit Veranda in Ständerbauweise und eine Terrasse nach vorne raus. Eine Übernachtung war im Obergeschoss möglich, wo sich auch die Wohnung der Familie Wolfgram befand, und kostete mit Frühstück 8 DM (Deutsche Mark, umgerechnet 4 Euro). Angeboten wurden Koteletts, gebackene Hähnchen, Frikadellen sowie Kaffee und Kuchen. „Für höhere Angestellte in Heisterholz, die unseren Lieferservice nutzten, kochten wir in Schichttöpfen. Das war platz- und energiesparend, weil Gemüse, Kartoffeln und Fleisch übereinander auf einer Flamme garten“, so Meyer und ergänzt: „Die zwei Öfen im Saal wurden zwei Tage vorher angeheizt, damit es warm wurde.“

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Um den Pendlern gerecht zu werden, teilten ihre Eltern die großen Räume in viele kleine Hotelzimmer auf. Die verkehrsgünstige Lage an der B61, die Übernachtungsmöglichkeiten und die gute Bewirtung wurde von den Tagesgästen sehr geschätzt, ebenso wie von Reisebussen aus Bremen, die noch keine Toilette hatten. Camper fanden sogar einen eigenen Parkplatz vor und konnten ihre Zelte vor dem Bahngleis aufstellen.

Sie alle machten Halt bei Grashoff, was seitens der Familie einen großen Aufwand erforderte. „Mutter arbeitete in der Küche, drei Frauen aus der Nachbarschaft halfen gern für 1 DM (50 Cent) die Stunde aus und zwei fest angestellte Haushaltsgehilfen ergänzten das Team. Meine Schwester und ich mussten ebenfalls mit ran, zum Beispiel beim Saal putzen. Die großen Feste haben ja gut funktioniert. Aber alle waren haftpflichtversichert, darauf achteten meine Eltern. Übrigens waren auch Jäger gute Kunden“, erzählt die 77-Jährige stolz.

Bis zum Oktober 1965, als der Betrieb aufgegeben wurde. Ab da an übernahmen etwa fünf Pächter im ständigen Wechsel das Hotel- und Gaststättengewerbe. „Als Kinder haben wir manchmal heimlich auf dem Dachboden gestöbert und alte Rechnungen vom Hotel gefunden, daher kenne ich ein paar Namen: Lüdecke, Plaumann, Schwier, Kloppfleisch und Dieter Müller, der das Hotel bis circa 2004/06 führte“, merkt Meyer an und bedauert, dass es seitdem dem Verfall ausgesetzt ist. „Gern würde ich noch mal reingehen und mir anschauen, was noch übrig ist.“

Doch das ruinöse Gebäude zu betreten, dürfte zu gefährlich sein. Von Randalierern eingeschlagene Scheiben wurden zwischenzeitlich mit Holzbrettern vernagelt. Nur die Inschrift an der Außenfassade deutet noch auf die historische Geschichte hin: „Das Haus das vor mich stand und den 23 • T • Fbari • 1821 in Feuer verbrandt der das hat bauen lassen das wahr der Forster:F:G Backhaus hat mich ausbauen lassen • mit die 3te Frau G. Karen und die Tochter der ersten Frau•G•F• gb • Backhaus 18(…).“ Ein architektonisches Werk, das demnach aus dem Jahre 1821 oder etwas später stammt. Die letzten Jahresziffern sind nicht mehr erkennbar.

Das Hotel Grashoff wird aus seinem Dornröschenschlag offensichtlich nicht mehr aufwachen. Pläne, es beispielsweise als ‚Freudenhaus’ wiederzubeleben, scheiterten. Die einst vor dem Haus stehende prächtige Linde wurde längst gefällt und die Personenbeförderung mit der MKB bereits 1975 eingestellt. Aber die Erinnerungen bleiben. „Hinter dem Hotel stand ein ‚Kinderkarussell zum Drehen’ und das ‚Pinkelklo’, ausgeschildert mit Pissoir“, lässt Waltraud Meyer die schönen und lustigen Stunden Revue passieren. „Und meine Kinder hatten ihren Spaß im Winter“, besinnt sie sich gern zurück mit Blick auf ein altes Foto aus dem Familienalbum.

Text: Namira McLeod, Fotos: Namira McLeod (1), privat (1)

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