Minden (kri/ddm). Seit dem 1. Februar dieses Jahres wird die Verwaltung des Kreises Minden-Lübbecke von Landrat Ali Doğan geführt. Auf das erste Gespräch mit dem neuen Chef im Kreishaus war die Redaktion des Petershäger Anzeigers naturgemäß besonders gespannt. Der Landrat präsentierte sich im „Kennenlern-Interview“ ebenso offen wie geradlinig.
Wie fühlt man sich, wenn man von einem auf den anderen Tag Chef von mehr als 1.900 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist?
Das Gefühl ist unbeschreiblich! Es braucht aber etwas Zeit, in die neue Rolle hinein zu wachsen. Ich glaube, dass ich mittlerweile mental ganz gut angekommen bin. Dabei hat es enorm geholfen, dass ich ein unglaublich gutes Team um mich herum habe. Ich hatte im Wahlkampf versprochen, schon am ersten Tag als Landrat direkt mit der Arbeit anzufangen. Dementsprechend habe ich am Wahlabend auch nur kurz gefeiert, denn bereits am nächsten Tag stand ein ganz wichtiges Thema auf der Tagesordnung: die Mühlenkreiskliniken. Als ich an dem Tag in das Kreishaus gekommen bin, bin ich sehr herzlich empfangen worden. Das hat mir den Start enorm vereinfacht. Schwer gemacht hat es mir, über einen längeren Zeitraum von der Familie getrennt zu sein, die erst Mitte Juli nach Minden gezogen ist. Das einzig Positive daran: Ich hatte in dieser Zeit wenig Bedarf, nach Hause zu gehen und konnte praktisch rund um die Uhr arbeiten.
Wie verstehen Sie Ihre Aufgabe als Landrat?
Ich versuche jeden Tag mein Bestes zu geben und stehe für möglichst viel Transparenz. Wie im Wahlkampf gehe ich ein hohes Tempo. Auch jetzt dauern meine Arbeitstage selten unter 14 Stunden, das geht auch am Wochenende so. Ich bin unglaublich viel unterwegs, das macht mir aber auch viel Spaß. Ich lebe und liebe einfach meinen Job und glaube, dass die Menschen in unserem Kreis das auch spüren. Fachlich habe ich als Landrat eine solche Fülle von Aufgaben, der man — nüchtern betrachtet — nicht zu 100 Prozent auf allen Ebenen gerecht werden kann. So selbstkritisch muss man sein. Man kann nicht als Repräsentant auf jeder Veranstaltung sein und gleichzeitig fachlich in jede Submaterie einsteigen. Von Haus aus bin ich Jurist und in einer Verwaltung gestartet, das war und ist ein großer Vorteil. 13 Jahre Verwaltungserfahrung helfen mir schon sehr für das Landratsamt. Trotzdem gilt: Man braucht ein super Team um sich herum. Auch in der Beziehung bin ich mehr als zufrieden: mit dem Team hier können wir Bäume ausreißen. Das Parteibuch ist für mich als Landrat dabei irrelevant. Privat bin ich aus Überzeugung Sozialdemokrat, hier bin ich Landrat und arbeite für den Kreis Minden-Lübbecke. Apropos Politik: Ich habe die Befürchtung, dass unsere Gesellschaft derzeit etwas abdriftet. Die breite Masse glaubt offensichtlich nicht mehr daran, dass sich die Politik wirklich für sie einsetzt. Daran hat die Politik auch ein Stück eigenes Verschulden, aber auch die neuen Medien sind daran mitverantwortlich. Hier möchte ich gerne in unserer Region gegensteuern. Ich möchte, dass die Menschen im Kreis Minden-Lübbecke Vertrauen in unsere Arbeit haben. Mein Ziel ist es, bei der nächsten Landratswahl 2030 nicht wegen meines Parteibuches, sondern wegen meiner guten Arbeit ein weiteres Mandat zu bekommen. Und das getragen von einer breiten Masse mit einer Wahlbeteiligung von mehr als 40 Prozent, weil die Menschen sagen: „Das ist unser Landrat.“
Was ist Ihnen persönlich wichtig im Zusammenspiel innerhalb der Kreisverwaltung?
Jeden Tag muss ich als Landrat zahllose Entscheidungen treffen, von denen wahrscheinlich auch nicht immer alle richtig sind – so offen muss man einfach sein. Man braucht ein Team mit Know-How, das die Entscheidungen vereinfacht und auf das man sich auch verlassen muss. Persönlich sehe ich mich weniger als Chef, sondern als Mitarbeiter in der Kreisverwaltung. Ich gehe selten in eine Sitzung und gebe vor, wie es gemacht werden soll. Meistens habe ich vorab eine Überlegung zu dem betreffenden Thema im Kopf. Sie hören mich dann häufig sagen: „Ich denke jetzt mal laut.“ Und das ist dann wirklich nur laut gedacht. Ich habe auch keine Scheu, wenn jemand sagt: „Das ist zwar schön gedacht, aber völlig Banane.“ Anfangs haben meine Kolleginnen und Kollegen mir das nicht abgenommen. Mittlerweile trauen sie sich auch in Sitzungen zu sagen: „Das wäre anders aber besser.“ Und genau das dürfen und sollen meine Amtsleitungen auch#, denn fachlich sind sie die jeweiligen Experten. In einer Personalversammlung eineinhalb Monate nach meinem Start, bei der 1.300 Kolleginnen und Kollegen anwesend waren, habe ich mit scheinbaren Selbstverständlichkeiten viel Zuspruch erhalten. Ich möchte eine Verwaltung, in der jeder Mensch so behandelt wird, wie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch behandelt werden möchten. Ich möchte eine Behörde, in der wir uns morgens grüßen, wenn wir uns treffen. Wir wollen eine Familie sein, in der Fehler gemacht werden dürfen, arbeiten aber gleichzeitig auch gemeinsam daran, die Qualität zu verbessern. Wenn Fehler passieren, bin ich als Landrat derjenige, der die Verantwortung dafür übernimmt. Ich zitiere niemanden in mein Büro und frage, warum der Fehler gemacht wurde, sondern wir sprechen darüber, wie wir den Fehler in Zukunft vermeiden können. Das ist eine Art, mit der wir im Kreis viel erreichen können.
Um eine Kontroverse aus Petershagen konkret anzusprechen: Das Thema „Weserschwimmen“. Es ist fast ein Jahr her, dass die Untere Naturschutzbehörde ein Bußgeldverfahren u.a. gegen rechtliche Vertreter des Kanuklubs Petershagen eingeleitet hat. Das Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt Weser hat dazu mitgeteilt, dass der Kreis überhaupt nicht befugt sei, Befahrensvorschriften für die Bundeswasserstraße Weser in Petershagen zu erlassen, selbst wenn die Kreisverwaltung dies aus Gründen des Naturschutzes für erforderlich hielte. Diese Rechtslage hat jetzt auch das Bundesverkehrsministerium bestätigt (Seite 33). Wie werden Sie weiter mit diesem Bußgeldverfahren umgehen?
Wie eben schon kurz erwähnt, kenne ich mich zwangsläufig nicht in all den unzähligen Themen einer Kreisverwaltung absolut wasserfest aus. Wir haben ein sehr gutes Team im Umweltamt, das mich darüber gut informiert hat. Es ist völlig richtig, dass wir keine Regelungskompetenz zum Befahren der Weser haben, das gehört zum Bundeswasserstraßenrecht. Im Naturschutzgebiet „Weseraue“ sind aber sowohl das Baden als auch Sportveranstaltungen untersagt, und um eine solche hat es sich bei dem Weserschwimmen gehandelt. Diese Regelung ist Teil der Naturschutzgebietsverordnung, die durch die Bezirksregierung Detmold 2012 erlassen wurde und die unsere untere Naturschutzbehörde anzuwenden hat. Andersherum: Kanufahren ohne jedes Weserschwimmen ist und bleibt erlaubt. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass ich mich ansonsten zu einem laufenden Bußgeldverfahren nicht weiter äußern kann. Unseren Kolleginnen und Kollegen im Umweltamt geht es dort schon seit vielen Jahren darum, vor allem den Wasservögeln an der Weser einen Ruheraum zu verschaffen. Ich weiß, dass sie gerne gemeinsam mit den Veranstaltern einen besseren Ort für das Weserschwimmen gesucht hätten, das wäre die deutlich einfachere und freundlichere Lösung gewesen. Dabei hätten wir gerne geholfen – in Minden ist das Weserschwimmen ja ebenfalls problemlos möglich. Jetzt war es so, dass das Umweltamt die Veranstaltung schon im Vorfeld untersagt hatte. Weil die Kollegen schon in früheren Jahren das Weserschwimmen an dieser Stelle nicht erlaubt haben, mussten sie sich andererseits auch schon den Vorwurf anhören, warum sie denn nicht mehr dagegen tun, dass es trotzdem gemacht wird. In Fällen wie diesen würde es mich persönlich es sehr freuen, wenn wir in Zukunft ähnliche Auseinandersetzungen wieder im Gespräch klären könnten. Bei uns im Umweltamt haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter viel Erfahrung damit, gute Kompromisse bei unterschiedlichen Interessen zu finden.
Der genannte Kanuklub Petershagen hat Sie jetzt zu einer Kanutour auf der Weser von Petershagen nach Windheim eingeladen. Werden Sie die Einladung annehmen?
Diesbezüglich sind noch einige offene Fragen zu klären. Sobald dies erfolgt ist, komme ich gern wieder auf den Kanu-Klub zu.