Petershagen. Wenn Anton Bellroth das Steinkohlekraftwerk Heyden sieht, weiß er, dass er in Petershagen angekommen ist. Klingt merkwürdig, steckt aber eine interessante Geschichte dahinter: Der Rheinländer hat viele Jahre in einem Kraftwerk gearbeitet und befindet sich mitten auf einer Extrem-Radtour von Bingen bis Island und zurück, um Menschen zu Knochenmarkspenden zu bewegen.
„Das Kraftwerk ist ein guter Punkt, um sich zu orientieren, ein echter Blickfang“, erklärte Bellroth auf seinem Zwischenstopp in Petershagen. Dass er in der Weserstadt Halt machte, hat er seiner Nachbarin Sonja Fehling zu verdanken, die es von Petershagen nach Bingen am Rhein verschlug. So konnte er hier bei ihrer Familie übernachten und sie begleitete ihn während seines Kurzaufenthalts in ihrer Heimat. „Hätte ich 2016 gewusst, dass er durch Petershagen kommt, hätte ich ihn nicht wie sein Navi über das Stauwehr gelotst mit seinem schweren Gepäck, sondern zwei Kilometer weiter über die Brücke“, erklärte sie vor seinem Eintreffen.
Ob der Umweg Bellroth zu schaffen machte, kann man zurecht bezweifeln. Nach dem Fußmarsch zur griechischen Insel Gavdos in 2013 und der Radtour zum Nordkap im Jahr 2016 war der diesjährige Trip nach Petershagen doch ein Kinderspiel. Er startete am 14. Mai in Bingen und radelte über Köln, Hagen und Rietberg. „Ohne Hilfsmotor, kein E-Bike, alles mit Muskelkraft“, betonte der 63-Jährige. Mitten im Trubel des Wochenmarkts auf dem Rathausplatz lehnte er sein mit Zelt und Gepäck beladenes Rad an einen Mast und erklärte in Ruhe den Hauptgrund seiner rund 4500-Kilometer-Reise.
Zahlreiche Patienten, die an Leukämie erkranken, sind auf Stammzellenspender angewiesen. Doch die müssen erst gefunden werden. Dabei ist in vielen Fällen noch nicht mal ein operativer Eingriff erforderlich. Rolf Haussauer ist seit 2001 so ein Patient. Im Alter von etwa 62 Jahren lebt er nun in einem Pflegeheim. Und das, nachdem er für die Deutsche Knochenmarkspenderdatei (DKMS) warb, indem er Reisen nach Norwegen nur mit seinem Fahrrad zurücklegte.
Genau das verbindet nämlich die beiden Männer: Extrem-Radtouren und die ihnen wichtige Botschaft, Knochenmarkspender zu finden, die sich bei der DKMS melden, oder Geld spenden.
Während Haussauer auf seine Stammzellenspende noch warten muss, hat sich der rüstige Rentner in Altersteilzeit für ihn auf den Weg gemacht und sogar ein T-Shirt anfertigen lassen mit dem Ärmelaufdruck „Bingen – Island – Bingen“, gesponsort von Vermonde. Außerdem habe ein guter Freund die Fährüberfahrten zwischen Hirtshals (Dänemark) und Seyðisfjörður spendiert. Bellroths Ziel: Island auf 2000 Kilometer Strecke umrunden.
Fit, wie er ist, dürfte ihm das auch gelingen. Die Leidenschaft zum Sport stamme ja aus der Familie. Sein einer Bruder war im Ring, der andere beim Judo, und er fing mit Fußball an, spielte Handball und entdeckte das Kanufahren. Später kam er zum Laufen und ab 55 Jahren zum Wandern – bis sich Rückenprobleme einstellten, er einer Wirbelsäulenoperation unterlag und zum Radfahren überwechselte. „Ich will eben nicht wie viele Rentner auf dem Sofa sterben, sondern mich bewegen und noch was erleben“, meinte er selbstbewusst mit einem Lächeln auf den Lippen.
Fakt ist: Er muss am 26. Mai um 15 Uhr in Hirtshals, am obersten Zipfel Dänemarks, eintreffen. Denn dort legt die Fähre ab, die ihn drei Tage später nach Island bringt. „Das wird eine echte Erholung“, merkte Bellroth an und freut sich schon auf die Überfahrt. Doch bis dahin hat er noch um die 730 Kilometer vor sich über Soltau, Hamburg und Süderhackstedt – bei einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von ungefähr 9,4 Stundenkilometern. Insbesondere die letzte Etappe von rund 400 Kilometern wird eine Herausforderung werden.
Nach einer herzlichen Verabschiedung und Stärkung in der Bäckerei Bertermann ging es dann auch schon los. Auf die Frage, ob er denn schon das Schloss Petershagen gesehen hätte, antwortete Bellroth erstaunt: „Hier gibt es ein Schloss? Das werde ich mir auf dem Rückweg anschauen.“ Wenn alles nach seinem Plan verläuft, wird das am 2. Juli sein.
Bis dahin kann man auf seiner Facebook-Seite „RundumIsland“ die Tourdaten und Fotos seiner Reise verfolgen.
Text und Foto: Namira McLeod