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Ausweisung der „Roten Flächen“ im Stadtgebiet – Das Glücksspiel mit den Messstellen

Die Auswirkungen der Düngung auf das Grundwasser sorgen für kontroverse Diskussionen
Jochen Teikemeier, Heinrich Müller und Friedhelm Hüneke aus dem Vorstand der IG mit dem Neuenknicker Ortslandwirt Walter Reinking am Standort einer in Neuenknick geplanten neuen WRRL-Messstelle. Foto: kri

Petershagen (ddm). Stellen Sie sich folgende Situation vor: Eine Verwaltungsbehörde benötigt für Planungsaufgaben Informationen über die Zahl der Kinder in der Stadt Petershagen. Dafür beauftragt sie einen Mitarbeiter mit einer Befragung, der dann an 13 willkürlich ausgewählten Haustüren im Stadtgebiet klingelt. Erwischt der Mitarbeiter dabei zufällig Häuser, in denen Rentner wohnen, gehen diese Messpunkte mit der Zahl 0 in die Statistik ein. Wenn andernorts zufällig acht Kinder im Garten spielen, notiert der Mitarbeiter für diesen Messpunkt die Zahl acht – auch ohne zu fragen, ob es sich hier vielleicht um eine Geburtstagsparty handelt, zu der Kinder aus verschiedenen Städten zusammengekommen sind. Für den Mitarbeiter besteht auch keine Notwendigkeit, sonstiges vorliegendes Zahlenmaterial zu nutzen.Sie halten die beschriebene Art und den Umfang der Datenbeschaffung angesichts von 29 Ortschaften und mehr als 25000 Einwohnern unserer Stadt für etwas dürftig und nicht repräsentativ? Dann lassen Sie uns doch einmal einen Blick auf die „Roten Flächen“ werfen, die im Stadtgebiet zum Thema Nitrat im Grundwasser ausgewiesen wurden.

Links: Grundwassermessstellen im Stadtgebiet. Rechts: Die Messstellen des WRRL-Messnetzes, die die Grundlage für die Ausweisung der ebenso dargestellten roten Flächen bilden. Copyright für alle Karten: Land NRW, dl-de/by-2-0 (www.govdata.de/dl-de/by-2-0) https://www.elwasweb.nrw.de, 2021© Bundesamt für Kartographie und Geodäsie 2021, Datenquellen: https://sg.geodatenzentrum.de/web_public/Datenquellen_TopPlus_Open_01.10.2017.pdf

Hintergrund

Die Auswirkungen der Düngung landwirtschaftlicher Flächen auf die Grundwasserbeschaffenheit sorgen seit Jahren für kontroverse Diskussionen zwischen Politik, Landwirtschaft und Umweltverbänden. Dabei geht es vor allem um die in organischem oder mineralischem Dünger enthaltene Stickstoffmenge. Wenn der ausgebrachte Stickstoff nicht vollständig von den angebauten Pflanzen aufgenommen wird, kann ein mehr oder minder großer Teil des Überschusses in Form von Nitrat mit versickernden Regen ins Grundwasser und damit auch ins Trinkwasser gelangen. 

Trinkwasser ist unser wichtigstes Lebensmittel – und unser bestüberwachtes, wie das Bundesumweltamt auf seiner Internetseite betont. Trinkwasser wird in der Bundesrepublik zu 70 Prozent, in der Stadt Petershagen zu 100 Prozent aus Grundwasser gewonnen. In der Trinkwasserverordnung ist festgeschrieben, dass Trinkwasser nicht mehr als 50 Miligramm Nitrat enthalten darf. Ab Januar 2021 sind für besonders stark mit Nitrat belastete, über dem Schwellenwert von 50 Milligramm pro Liter liegende „rote“ Gebiete verpflichtende Maßnahmen vorgeschrieben. Unter anderem ist in der Landesdüngeverordnung festgelegt, dass der Einsatz von Dünger um 20 Prozent unter den bis dato erlaubten Bedarf verringert werden muss.

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Das WRRL-Messnetz

Zur Überwachung des Grundwassers existiert im Stadtgebiet ein dichtes Netz von Messstellen, an denen Wasserstände gemessen und Wasserproben entnommen werden können (Karte unten links). Für die Bewertung der Nitratsituation im Stadtgebiet werden davon jedoch nur 13 Messstellen herangezogen – die sogenannten WRRL-Messstellen (Karte unten rechts, WRRL steht für Wasserrahmenrichtlinie).

Die roten Flächen zwischen der südlichen Stadtgrenze und Wulfhagen, darin die Wasserschutzgebiete und die Brunnen der Wasserwerke Wietersheim und Gorspen-Vahlsen. Die Nitratwerte der Brunnen wurden freundlicherweise von den Stadtwerken Petershagen zur Verfügung gestellt.

 

Sippenhaft

Überschreitet der Nitratgehalt des Grundwassers an einer Messstelle den Schwellenwert von 50 Milligramm pro Liter, wirkt sich das nicht nur auf die unmittelbare Umgebung dieser Messstelle aus, sondern hat Konsequenzen für weit größere Bereiche. Praktisches Beispiel: Ein zu hoher Nitratwert an der Messstelle Quetzer Timpen ist Auslöser für die Ausweisung roter Flächen nach Norden bis Wulfhagen und im Süden – groteskerweise – auch im Bereich rund um die Trinkwasserbrunnen und Wasserschutzgebiete des Wasserwerks Wietersheim, bei denen die Nitratgehalte nachweislich klar unterhalb des Schwellenwertes liegen (siehe Karte auf der folgenden Seite). Dass angesichts einer solchen, per Verordnung festgeschriebenen Verfahrensweise jeder WRRRL-Messstelle eine enorme Bedeutung zufällt, räumt auch Dr. Sabine Bergmann, im Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW (LANUV) zuständig für die Thematik, im Gespräch ein.

Und wenn überhöhte Nitratwerte gar nichts mit dem Einsatz von Düngemitteln zu tun haben?

Auch hierzu ein praktisches Beispiel: Das Foto zeigt die Grundwassermessstelle Bartlinge in Friedewalde. Diese geriet 2017 besonders ins Blickfeld, als die ehemalige NRW-Umweltministerin Bärbel Höhn bei einem Fototermin im Zuge des Landtagswahlkampfs hier an der „Rekordmessstelle“ im Kreisgebiet posierte (siehe Foto und Bericht des Mindener Tageblattes vom 6. 4. 2017). Damals übersehen, obwohl im Elwas-Web vermerkt: Wenige Meter hinter der Messstelle erkennt man die Abdeckungen der Kleinkläranlage des Hofes (Pfeile), die hier maßgeblich zum Chemismus des Grundwassers beiträgt. Nach kritischen Nachfragen ist diese Messstelle mittlerweise verwaltungsseitig aus dem WRRL-Messnetz herausgenommen worden. Nicht die einzige im Stadtgebiet. Und auch für die Messstelle Quetzer Timpen gibt es schlüssige Verdachtsmomente auf Einflüsse jenseits von Düngemitteln.

IG „Messstellen“

Angesichts der erläuterten Zusammenhänge haben sich heimische Landwirte unlängst zur „Interessengemeinschaft Gerechte Messstellen“ zusammengeschlossen. „Die Politik hat beim Thema Nitrat über Jahre geschlafen. Erst als sie von der EU hart angezählt worden ist, hat man aus einer Panikreaktion heraus Messstellen nach dem Motto benannt: Wir müssen jetzt irgendwas machen“, kommentiert Heinrich Müller, 1. Vorsitzende der IG, die jetzige Situation. Das Ergebnis müssten jetzt auch Landwirte ausbaden, die umweltgerecht arbeiten und sich von je her zum Schutz des Grundwassers bekennen. Petershagen sei da kein Sonderfall. Bei vielen Messstellen gäbe es erheblichen Nachfragebedarf, auch was Wartung und Pflege anbelangt.

Den Vorstand der IG, die sich satzungsgemäß für ein korrekteres, sachgerechtes und wirklich repräsentatives WRRL-Messnetz und eine nachvollziehbare Ausweisung roter Flächen einsetzt, bilden Heinrich Müller (1. Vorsitzender, Gorspen-Vahlsen), Friedhelm Hüneke (2. Vorsitzender, Schlüsselburg), Karl-Christian Ebenau (Schriftführer, Friedewalde) und Jochen Teikemeier (Kassenwart, Petershagen).

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