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Gutachten in 50 Jahren Stadtgeschichte Einige unvergessliche Beispiele

In den zurückliegenden Jahrzehnten hat es viele gutachterliche Stellungnahmen gegeben, die sich in Petershagen ausgewirkt haben.
Der erweiterte Vorstand um Peter Thiele (vorne): Edith Griese (l.), Gigrid Brenneisen (r.), Friedrich Dörmann (hinten v.l.), Heinrich Bredemeier, Wilfried Brase und Fritz Nahrwold. Foto: Archiv Mindener Tageblatt

Von Peter Thiele

Nehmen wir einmal an, die Stadt oder eine andere Verwaltung oder ein Industrieunternehmen möchte ein Projekt verwirklichen, das Auswirkungen auf die Umwelt haben und daher umstritten sein könnte. In solchen Fällen müssen Fach-Gutachter her, deren Urteil das Vorhaben als unschädlich oder zumindest als hinnehmbar darstellt. In den zurückliegenden Jahrzehnten hat es viele gutachterliche Stellungnahmen gegeben, die sich auf unser Leben in Petershagen ausgewirkt haben (und manchmal, Gott sei Dank, nicht!). Hier nun einige markante Beispiele, die nicht in Vergessenheit geraten sollten.
Schon die Stadtgründung vor 50 Jahren ist ein Ergebnis eines 63 Seiten umfassenden Gutachtens von 1966, das die Grundlage für das „Bielefeld-Gesetz“ bildete, wodurch Petershagen am 1.1.1973 entstand. Es sollte eine „leistungsfähigere kommunale Einheit“ geschaffen werden, als es jedes der beiden Ämter Lahde und Petershagen alleine sein konnte. Rückblickend, ist das Ziel wohl erreicht worden, selbst wenn die Ämter jeweils ihren Süden an die Stadt Minden verloren und die Kommunalpolitik noch recht lange vom „Weserseitendenken“ beeinflusst wurde. (Davon soll es bis heute noch Spurenelemente geben!?)
Das nächste Beispiel hatte anfangs nichts mit unserer Stadt zu tun: 1971/1972 erklärte der Geologe G. Goldberg das Gelände der ehemaligen Tongruben zwischen Wiedensahl und Loccum für die Ablagerung industrieller Sonderabfälle für „grundsätzlich geeignet“, empfahl zwar u.a. die Auslegung der Gruben mit einer 0,8 mm starken Folie, aber die Tonsteine im Untergrund wären „praktisch undurchlässig“. Die Folgen sind bekannt. Es entstand eine der gefährlichsten Giftmüllkippen in Deutschland. (Dass der Kreis Nienburg nicht einmal Goldbergs „Empfehlungen“ durchsetzte, ist eine andere Geschichte.)
Als Konsequenz musste die Stadt Petershagen (gutachterlich) das Wasserwerk Ilse schließen, verbot die Nutzung von Weidebrunnen an der Ils und installierte später einen neuen Brunnen in Gorspen-Vahlsen.
Zwei Kurzgutachten waren also der Anfang. Danach folgten mehr als 20 voluminöse Gutachten, die teilweise sehr widersprüchlich waren, sehr viel Geld kosteten und letzten Endes zu keinem allgemein akzeptierten Ergebnis geführt haben. Als sich die Teilnehmer am Runden Tisch in der Evangelischen Akademie Loccum anhand einer sehr sorgfältigen zusammenfassenden und tiefgründigen Risikoabschätzung zu bestimmten Sicherungsmaßnahmen durchgerungen hatten, schoben die Landesfachbehörden dieses Gutachten und den möglichen Beschluss einfach beiseite und realisierten ihre eigene Sicherungsversion. Daraus wird deutlich: Gutachten müssen dem Projektbetreiber in den Kram passen, sonst wird daraus nichts, selbst wenn noch so viel Knowhow zusammenkommt. Ein Beispiel dafür, dass Gutachten nicht immer zur Lösung von Problemen beitragen, sondern „voll daneben gehen“ und überraschende Nebeneffekte bewirken können, bietet die Standortsuche für eine Sonderabfalldeponie in OWL in den Jahren 1992/1993. Der Regierungspräsident Detmold hielt das Papier der Deutschen Montan Technologie (DMT) zur Ausweisung von möglichen Standorten zunächst mehr als ein halbes Jahr lang geheim. Dann stellte sich heraus, dass der Gutachter u.a. zwar sieben mögliche Standorte im Stadtgebiet Petershagen ins Auge gefasst, aber neuere geologische Erkenntnisse gar nicht berücksichtigt hatte.

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Auch die Nähe zur Sonderabfalldeponie Münchehagen blieb unberücksichtigt. Damals waren etliche Mitglieder der drei aktiven Bürgerinitiativen wegen der Vorgänge an der vorhandenen Giftmülldeponie wahrscheinlich besser über die Gesteinsschichten informiert als der DMT-Geologe. Außerdem hatten sie den Geologen Dr. Dietmar Meier an ihrer Seite, dessen Spezialgebiet ausgerechnet Klüftung in Sedimentgesteinen war. Die BI-Aktiven machten unter Meiers Regie öffentlichkeitswirksam Bohrungen in Quetzen, Messungen und Fotos vom offen liegenden Kluftgestein in Nordholz und in der Pohlschen Heide. Die Konsequenzen aus versuchter Geheimhaltung, groben Fehlern im Gutachten und dem Volkszorn waren enorm: Die Bürgerinitiative „Stoppt den Giftmüll!“ wurde in kürzester Zeit der größte Verein im Regierungsbezirk mit bis zu 7.400 Mitgliedern. Die DMT musste ihr Gutachten überarbeiten, und die Stadt Petershagen gab eine eigene hydrogeologische Recherche bei der Firma Geo-Infometric zu den Gesteinsformationen im Untergrund in Auftrag. Das 11 Monate später fertiggestellte überarbeitete Gutachten der DMT zur Standortsuche war jedoch keinen Deut fundierter als das erste. Außerdem, sehr zum Ärger des Regierungspräsidenten, bekam die BI diese Zweitversion durch einen „Maulwurf“ noch vor dem offiziellen Veröffentlichungstermin in die Hände und konnte damit, gleich verbunden mit ihrer Kritik, vorzeitig an die Öffentlichkeit gehen. Die Blamage für die DMT und für die Detmolder Behörde war für jedermann erkennbar. Schließlich wurde ein Jahr später noch eine dritte Variante der „Vorerkundung“ vorgelegt, in der nur noch fünf Flächen bei Steinheim und Borgentreich für das weitere Suchverfahren vorgeschlagen wurden. Aber da hatten sich die Bürgerinitiativen in OWL schon zusammengeschlossen und — u.a. durch eine Groß-Demonstration in Detmold — soviel politischen Druck erzeugt, dass das Projekt einer Sonderabfalldeponie in OWL kurze Zeit später aufgegeben wurde. Ein ordentliches Gutachten muss also der Kritik standhalten.

Mitglieder der Bürgerinitiative „Stoppt den Giftmüll“ bei Geländeuntersuchungen mit Geologe Dr. Dietmar Meier in der ehemaligen Tongrube Nordholz. Foto: Archiv Mindener Tageblatt

Im Falle der Ansiedlungspläne der Firma Ahrens im Lahder Industrie- und Gewerbegebiet 2016/2017 waren die begleitenden Fachanalysen so schwach und fehlerhaft, dass das Projekt der Gleisschotteraufbereitung auf jeden Fall gescheitert wäre: Eine quasi staubfreie und emissionsfreie, aber dennoch offene Betriebshalle war schlichtweg Unsinn. Einige BI-Mitglieder fanden es damals schade, dass Ahrens von sich aus das Vorhaben aufgab. Die Einwendungen im Rahmen der Bürgerbeteiligung waren nämlich so schön, treffend und vielseitig, dass sie einen Erörterungstermin im Planfeststellungsverfahren verdient hätten. Anders verhielt es sich mit den Gutachten zu den Salzabwässern der „K + S Minerals“ in die Werra/Weser für die Jahre 2021 bis 2027. Da standen Gutachten der Weseranrainer und der Salzchemie gegeneinander. Inhaltlich hatten die Wasserschützer die Oberhand, denn die Europäische Wasserrahmenrichtlinie enthält ein Verschlechterungsverbot für Fließgewässer. Aber die Entscheidung pro Salzeinleitungen fiel letzten Endes nicht auf fachlicher Basis, sondern hatte ökonomische und finanzielle Gründe: Es wurde mit dem Verlust von Arbeitsplätzen gedroht und mit unverhältnismäßigen Kosten ( = Wettbewerbsnachteile für die deutsche Kali-Industrie). Es gibt auch Gutachten, die nicht in Auftrag gegeben werden, obwohl sie dringend nötig wären. Das kann zum Beispiel bei der Änderung von Produktionsabläufen bei bereits bestehenden Industrieanlagen der Fall sein. Seit vielen Jahren gibt es die Glasaufbereitung im Lahder Gewerbegebiet, aber seit einigen Jahren häufen sich Beschwerden der Anwohner über Glasstaub und Gestank. PreZero, der heutige Betreiber, tut alles, um die Emissionen zu verschleiern und zu verharmlosen. Welche Gefahren sind mit dem allgegenwärtigen Glasstaub verbunden, und ergeben sich irgendwelche Risiken aus den Gasimmissionen für die Beschäftigten und die Anwohner? Diese Fragen müsste ein externer Gutachter beantworten. Denn das ist ja auch die Funktion „guter“ Gutachten: Glaubwürdigkeit und Vertrauen bei Betroffenen herzustellen oder zu erhalten. Aber solch ein Gutachten scheint PreZero zu scheuen wie der Teufel das Weihwasser. Abschließend und nur am Rande erwähnt, soll auf die Gutachten zum Naturschutz hingewiesen werden, an deren Auswirkungen wir uns mittlerweile gewöhnt haben (z.B. an Naturschutzflächen im Wesertal oder an die Landschaftspläne jeweils mit den diversen Auflagen und Einschränkungen). Nur im Einzelfall, wie etwa beim jährlichen Weserschwimmen als Werbung für einen sauberen Fluss, gibt es noch Aufregung, weil die Kontrahenten sich stur stellen. Da heißt es: „Gut“achten gegen „guten“ Bürgerwillen. Wer will da ein Urteil fällen?

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