Samstag, 27. Juli 2024

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Kann die Untere Naturschutzbehörde Kanufahren auf der Weser verbieten?

Gegen die rechtlichen Vertreter des Kanu-Clubs Petershagen und des WSC Aqua Fun wurde ein Bußgeldverfahren eingeleitet.

Foto: Dietmar Meier

Petershagen (ddm). Der seit Jahren schwelende Konflikt um das Schwimmen im Weserabschnitt zwischen Petershagen und Windheim hat im vergangenen Jahr eine neue Facette bekommen: Die Untere Naturschutzbehörde (UNB) des Kreises hat mit Schreiben vom 7.9.2022 ein Bußgeldverfahren gegen die rechtlichen Vertreter des Kanu-Clubs Petershagen und des WSC Aqua Fun eingeleitet. Unter Bezug auf einen Zeitungsartikel des Mindener Tageblattes wurde das Verfahren mit einem Verstoß gegen die Verordnung für das Naturschutzgebiet (NSG) Weseraue begründet: „Nach Absatz 2 Nr. 9 ist insbesondere das Baden und nach Nr. 10 das Ausüben von Sportaktivitäten und die Durchführung von Sportveranstaltungen aller Art verboten. … Aufgrund des Sachverhaltes habe ich ein Bußgeldverfahren gegen Sie eingeleitet.“ (Auszug aus dem Schreiben der UNB an den Vorsitzenden des Kanu-Klubs Petershagen). Seit der Eröffnung des Verfahrens sind mittlerweile fast neun Monate vergangen. Bei schriftlichen Anfragen des Petershäger Anzeigers dazu kristallisierte sich zwischenzeitlich noch ein anderer Aspekt heraus: Die Frage, ob die Untere Naturschutzbehörde den Vereinen gegenüber überhaupt rechtskonform gehandelt hat. Bei dieser Frage bewegt man sich auf komplexem juristischen Terrain. Aktuell gehen wir davon aus, dass die Frage erst vor einem Verwaltungsgericht entschieden wird. Insofern geht es im Folgenden nur darum, die unterschiedlichen Sichtweisen darzustellen. Da die gesamte Weser im Stadtgebiet von Petershagen einschließlich der Wehrarme als Bundeswasserstraße ausgewiesen ist, hat der Petershäger Anzeiger auch die zuständige Bundesbehörde, das Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt (WSA) Weser um Information über die rechtlichen Gegebenheiten beim Befahren der Weser im Naturschutzgebiet nördlich der Weserbrücke gebeten. Am 2.12.2022 teilte der Fachbereich Administration des WSA Weser mit: „Die Zuständigkeit zum Beurteilen des Befahrens des Wehrarmes obliegt dem WSA Weser. … Die Veranstaltung konnte aus Sicht der WSV durchgeführt werden. … Die einzige Einschränkungsmöglichkeit besteht in Naturschutzgebieten oder Nationalparks. Hier ist allerdings die Landesbehörde nicht befugt, Befahrensvorschriften zu erlassen, auch wenn sie dies aus Gründen des Naturschutzes für erforderlich hält. Hier müsste im Zweifel das BMDV eine Rechtsverordnung unter Abwägung der Schifffahrts- und Naturschutzbelange erlassen. Eine solche Verordnung liegt hier nicht vor. Vielmehr ist in diesem Bereich beispielsweise sogar eine Wasserskistrecke ausgewiesen.“ Der Petershäger Anzeiger hat diese Klarstellung des WSA der Kreisverwaltung zugeleitet und um Stellungnahme gebeten. Am 29.3.2023 antwortete das Rechtsamt des Kreises wie folgt: „Nach unserer Prüfung besteht keine Zuständigkeit der Wasserschifffahrtsverwaltung für den hier betroffenen Sachverhalt „Teilnahme am Weserschwimmen mit Booten“. … Zudem ist Anknüpfungspunkt für die Ordnungswidrigkeitenverfahren nicht die Bootsnutzung als solche, sondern die Beteiligung an der Durchführung an einer gemäß § 3 der ordnungsbehördlichen Verordnung für das Naturschutzgebiet Weseraue im Naturschutzgebiet verbotenen Veranstaltung.“ Daraufhin hat der Petershäger Anzeiger zwei weitere Fragen nachgeschoben. Zum einen haben wir gefragt, ob nach Rechtsauffassung des Kreises Kanuten, Ruderer, Segler etc. die Weser im NSG-Abschnitt befahren dürfen, wenn keine Schwimmer in diesem Weserabschnitt unterwegs sind. Zum anderen haben wir nach der Rechtmäßigkeit der Ausweisung der Wasserskistrecke nördlich der Weserbrücke gefragt. Die Kreisverwaltung teilte am 10.5.2023 mit, dass der Kreis Minden-Lübbecke hierzu keinerlei Aussage treffen dürfe. Beide Fragen müssten durch die Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes beantwortet werden: „Weder die Bezirksregierung Detmold als zuständige Höhere Naturschutzbehörde und Verordnungsgeberin, noch der Kreis Minden-Lübbecke als zuständige Untere Naturschutzbehörde haben in diesem Zusammenhang eine Prüfungs- und Entscheidungskompetenz, welche Tätigkeiten das „Befahren“ mit „Wasserfahrzeugen“ umfasst.“ Der Hinweis auf fehlende Kompetenz des Kreises in einem Schreiben, die Festlegung auf eine nicht vorhandene Zuständigkeit des WSA in einem anderen Schreiben – die Redaktion des Petershäger Anzeigers war zugegebenermaßen irritiert und fragte sich, wie die für uns widersprüchlichen Positionen des Kreises miteinander vereinbar sein sollten. Für mehr Klarheit über die Sichtweise des Kreises sorgte ein Gespräch mit der Leiterin des Umweltamtes, Martina Vortherms. Vortherms räumte ein, dass das Befahren der Weser prinzipiell überall in Petershagen erlaubt sei. Die Einwirkungsmöglichkeit des Kreises ergebe sich aber daraus, dass im Naturschutzgebiet laut Verordnung keine Veranstaltungen zulässig seien. Der Kreis habe also das Recht, das Befahren der Weser im Rahmen von Veranstaltungen einzuschränken beziehungsweise zu verbieten. Das führt zur Frage, wie die Kreisverwaltung den Begriff Veranstaltung definiert. Wenn sich eine Gruppe von Kanuten zu einer Tour auf der Weser von Todtenhausen nach Schlüsselburg verabredet, müssen die Kanuten dann beim Umweltamt vorher um Genehmigung fragen? Vor allem aber kollidiert diese Sichtweise natürlich mit der oben zitierten Feststellung des WSA Weser, dass eine Behörde des Landes (sprich Kreisverwaltung oder Bezirksregierung) nicht befugt sei, überhaupt Vorschriften für das Befahren der Weser zu erlassen. Das sieht auch Rechtsanwalt Willi Broshinski (Kanzlei Berg & Partner), der einen Betroffenen in der Angelegenheit juristisch vertritt, so: „Das Veranstaltungsverbot bezieht sich auf die NSG-Flächen rechts und links der Weser. Wann und wie Boote auf der Wasserfläche der Weser unterwegs sein dürfen, unterliegt allein der Bundesbehörde WSA Weser. Gegen die Kanuten hätte der Kreis Minden-Lübbecke nie ein Bußgeldverfahren eröffnen dürfen. Da hat sich der Kreis verrannt.“
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch ein Blick in die Genehmigung der Unteren Naturschutzbehörde zum Petershäger Wesertag 2019. Auch der Kanu-Klub Petershagen wollte dazu mit einer kleinen Tour beitragen, vom Schiffsanleger in Heisterholz nach Windheim – und zwar vor und unabhängig von den Schwimmern. Das aber stieß schon damals offensichtlich auf deutliches Missfallen der Unteren Naturschutzbehörde: „Die vom Kanu-Klub Petershagen für den Veranstaltungstag beabsichtigte vormittägliche Fahrt von Petershagen nach Windheim birgt erhebliches Störpotenzial, zumal mit einer größeren Teilnehmerzahl zu rechnen ist. Im Zusammenwirken mit dem nachfolgend stattfindenden mittäglichen Weserschwimmen würde sich vermutlich eine erhebliche und nachhaltige Störung für das Gebiet ergeben. Um dies auszuschließen empfehle ich dringend, diesen Programmpunkt ersatzlos zu streichen; auch, weil die Kanufahrt beim Planungstreffen nicht besprochen und abgestimmt wurde.
Eine erhebliche Störung des Naturschutzgebietes im Sinne des Störungsverbotes des § 3 Abs 1 der NSG-Verordnung würde künftige Veranstaltungen mit einer schweren negativen Hypothek belasten, so dass Befreiungen kaum noch zu rechtfertigen wären und Anträge demzufolge abgelehnt würden.“ Man könnte auf die Idee kommen, den letzten Absatz als dezente Drohung der UNB zu bewerten — in Ermangelung rechtlicher Kompetenzen zur Untersagung der Kanutour. Die Klärung der rechtlichen Fragen beim Befahren der Weser hat auch für Petershagens Bürgermeister Dirk Breves hohen Stellenwert. „Die Weser ist für viele Petershäger ein Stück Identität und für die Stadt ein besonderes Aushängeschild. Das gilt nicht nur für die Weser selbst, sondern auch für das Naturschutzgebiet Weseraue und die dortige Flora und Fauna. Leben am Fluss muss aber auch beinhalten, Natur und Landschaft auf verträgliche Weise unmittelbar erleben zu können. Daher wünsche ich mir ganz unabhängig von der rechtlichen Bewertung auch das nötige Fingerspitzengefühl der UNB. Sonst sind weitere Konflikte, insbesondere bei der geplanten Neuausweisung von Schutzgebieten entlang der Weser, vorprogrammiert.“

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