Freitag, 26. April 2024

Anzeige

„Rote Flächen“ im Stadtgebiet – Ortstermin in Maaslingen

Hochinteressanter Ortstermin Mitte Mai an einer Grundwassermessstelle in Maaslingen

Maaslingen (ddm). Hochinteressanter Ortstermin Mitte Mai an einer Grundwassermessstelle in Maaslingen, wo sich Mitarbeiter des Landesamtes für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW (LANUV) unter Leitung von Dr. Sabine Bergmann mit dem Vorstand der Petershäger „Interessengemeinschaft (IG) Gerechte Messstellen” trafen, um die Ausweisung der roten Flächen im Stadtgebiet zu diskutieren.

Dr. Sabine Bergmann, LANUV NRW, bei ihrem Vortrag an der Messstelle in Maaslingen. Fotos: ddm

Treffen Mitarbeiter einer Fachbehörde bei kontroversen Themen auf betroffene Bürger, nimmt die Diskussion nicht selten emotionale Formen an. Ganz anders in Maaslingen: gegenseitiges Zuhören, sachliches Einbringen von Informationen und das gemeinsame Bemühen, Erklärungen für beobachtete Phänomene zu finden, kennzeichneten einen nichtalltäglichen Austausch.

Dass ihr der Schutz des Grundwassers und die Verringerung von Stickstoffeinträgen in den Boden ein wesentliches Anliegen ist, daran ließ Dr. Sabine Bergmann, die im Landesamt den Bereich Grundwasser und Wasserversorgung leitet, im Zuge der Diskussion keinen Zweifel aufkommen. Ihre Aussage „Es ist eigentlich Quatsch, auf Grundlage von Grundwassermessstellen rote Gebiete auszuweisen. Dafür gäbe es bessere Methoden.“ ließ aber aufhorchen. Zu Beginn der Veranstaltung hatten ihre Kollegen zunächst die Messstelle Maaslingen mittels einer Kamerabefahrung überprüft und damit den Vertretern der IG auch den praktischen Umgang mit Messtellen demonstriert.

Wie viele Facetten allein die Interpretation von Messdaten aus den Grundwassermesstellen je nach den lokalen Standortbedingungen haben kann, machte Dr. Bergmann in einem anschließenden Vortrag deutlich. Dabei verwies sie auch darauf, dass das bestehende Netz von Grundwassermessstellen in den Anfängen eben nicht als Kontrollmaßnahme konzipiert worden war, um den Nitrat-Eintrag im Grundwasser zu überprüfen. „Die staatlichen Umweltämter haben ursprünglich Messstellen eingerichtet, um die Beschaffenheit des Grundwassers in einem Grundwasserleiter als Ganzes untersuchen zu können. Dann kam die Wasserrahmenrichtlinie und es wurde geschaut, welche der bestehenden Messtellen man dafür nutzen könnte.“

Anzeige

 

Als dann im letzten Jahr die Gülle-Verordnung kam, hätte die Zeit gefehlt, ein neues Messnetz für diesen speziellen Zweck zu kreieren. Deswegen müsse man heute aus den bestehenden Daten herauslesen, ob und inwieweit Messdaten neben landwirtschaftlichen Einflüssen auch mögliche Siedlungseinflüsse oder besondere Standortbedingungen wiederspiegeln. Aber: „Wenn der Nitratgehalt auch nur an einer einzigen Messstelle in einem Grundwasserkörper den Grenzwert von 50 Milligram pro Liter überschreitet, sind wir nach der bestehenden Rechtslage verpflichtet, rote Gebiete auszuweisen. Selbst wenn unmittelbar daneben ein sauberer Brunnen steht.“

Die roten Flächen im Bereich Ovenstädt und die GW-Messstelle, die Auslöser für die Ausweisung der Flächen war. Das Grundwasser, das im Wasserwerk Ovenstädt gewonnen wird, hat einen Nitratgehalt von weniger als 1 mg/l. Karte: © Land NRW, dl-de/by-2-0 (www.govdata.de/dl-de/by- 2-0) https://www.elwasweb.nrw.de, 2021 © Bundesamt für Kartographie und Geodäsie 2021, Datenquellen: https://sg.geodatenzentrum.de/web_public/Datenquellen_TopPlus_Open_01.10.2017.pdf

Angesichts dieser Situation sieht sie für sich und das LANUV auch eine Aufgabe: „Wir wollen das Messstellennetz in den kommenden Jahren peu á peu verbessern, aber das braucht Zeit.“

Dass das Treffen in Maaslingen für mehr gegenseitiges Verständnis gesorgt hat, sahen auch Heinrich Müller, Friedhelm Hüneke, Karl-Christian Ebenau und Jochen Teikemeier aus der Interessengemeinschaft so. Der Vorsitzende Müller: „Was die Kernpunkte sauberes Trinkwasser und Nachhaltigkeit anbelangt, liegen wir nicht weit auseinander.“

 

Reaktionen aus der Politik

Die am nördlichen Ortsausgang von Ovenstädt gelegene WRRL-Messstelle steht besonders in der Diskussion, befindet sich diese doch neben dem Grundstück eines Handelsbetriebs für landwirtschaftliche Produkte, auf dem lange Zeit Bioabfälle aus der Getreidereinigung offen gelagert worden waren, die für erhöhte Nitratwerte im Bereich der Messstelle verantwortlich sein könnten.

Im Anschluss an die Veröffentlichung des ersten Beitrages zum Thema rote Flächen in unserer Mai-Ausgabe haben wir Stellungnahmen aus der Landespolitik von einigen Mitgliedern des Ausschusses für Umwelt, Landwirtschaft, Natur und Verbraucherschutz NRW erbeten. Dabei ging es um die Bewertung des Sachverhaltes, dass die landwirtschaftlich genutzten Flächen rund um die 10 Trinkwasserbrunnen der Stadt Petershagen in Wietersheim und Gorspen-Vahlsen großräumig als rote Flächen ausgewiesen sind, obwohl die Nitratwerte dieser ständig überwachten Brunnen deutlich unter dem Grenzwert von 50 mg/l liegen, ähnlich wie es die nebenstehende Karte aus Ovenstädt zeigt.

Aus Platzgründen können wir an dieser Stelle nur Auszüge aus den ausführlichen Stellungnahmen von Bianca Winkelmann (CDU), Ernst-Wilhelm Rahe (SPD) und Norwich Rüße (Bündnis 90/Die Grünen) widergeben.  Aus der FDP-Landtagsfraktion kam leider keine Reaktion.

 

Norwich Rüße, umweltpolitischer Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen, erachtet die angewandte Methodik für durchaus sinnvoll: „Bei dem Wassermessstellennetz des Landes NRW handelt es sich um ein Belastungsmessstellennetz, das ausdrücklich die Belastungen durch die Landwirtschaft als einem möglichen Hauptverursacher von Nitrateinträgen darstellen soll. Ein Hinzuziehen von Werten aus Trinkwasserbrunnen ist aus unserer Sicht nicht sinnvoll, da diese Brunnen gerade mit dem Ziel angelegt wurden, möglichst keine Nitratbelastung vorzuweisen und häufig auch aus deutlich tieferen Schichten das Wasser fördern.“

Ernst-Wilhelm Rahe (SPD) sieht die Qualität der Messstellen als gesichert: 

„Zu den für die Ausweisung relevanten Messstellen wurde eine Qualitätsprüfung durchgeführt. Messstellen mit Mängeln, die für das Nitratmonitoring bedeutsam sind und nicht behoben werden können, wurden durch andere bzw. neu gebaute Messstellen ersetzt. Messstellen, die aufgrund von technischen Mängeln oder störender Einflüsse ausgesondert wurden, sind für die Ausweisung der zusätzlichen Flächen außerhalb der ,roten Grundwasserkörper‘ ebenfalls nicht berücksichtigt worden. … Damit ist sichergestellt, dass auf ein zum Zeitpunkt der Ausweisung qualitätsgesichertes Messstellennetz zurückgegriffen wurde.“

Die umweltpolitische Sprecherin der CDU-Landtagsfraktion, Bianca Winkelmann, verweist darauf, dass 2020 in NRW bereits 800.000 Hektar ausgewiesene rote Gebiete auf gut 130 000 Hektar zurückgeführt wurden und kann eine gewisse Skepsis Petershäger Landwirte durchaus nachvollziehen:

„Zu Recht wurde an verschiedenen Stellen in Petershagen auf mögliche fehlerhafte Messstellen hingewiesen. Zur Zeit werden intensive Gespräche, u.a. mit dem LANUVgeführt, um die Aussagekraft dieser Messstellen auf den Prüfstand zu stellen. Wenn die gleiche Ackerfläche in NRW als nitrataustragsgefährdend deklariert wird und in Niedersachsen trotz gleicher Bewirtschaftung nicht, dann sind die Landwirte vor Ort zu Recht skeptisch.”

Die vollständigen Mitteilungen der Politiker finden Sie hier

Kommentar von Dr. Dietmar Meier

Die Thematik „Ausweisung der roten Flächen“ zu verstehen, ist auch für einen „gelernten“ Naturwissenschaftler ein hartes Brot — wenn von Nitrataustragsgefährdung, Denitrifikationspotenzial oder Nährstoffbilanzüberschüssen die Rede ist. Was den Naturwissenschaftler dabei aber erheblich irritiert, ist der Art der Erfassung oder besser auch Nicht-Erfassung von Daten, die den anschließenden Modellierungen und Flächenausweisungen zugrunde liegt. Um einen Zustand zu analysieren, sind Wissenschaftler üblicherweise bestrebt, möglichst viele Daten zu erheben. Ganz anders beim Thema Nitrat, wo — politisch verankert — derzeit schon Daten einer einzigen Grundwassermessstelle als repräsentativ für landwirtschaftlich genutzte Flächen von 10000 Hektar und mehr eingestuft werden können – wie in Ovenstädt. Man stelle sich vor, alle Mitglieder einer politischen Fraktion müßten Strafe zahlen, wenn ein Mitglied dieser Fraktion irgendwo „die Hand aufgehalten hat“ (Stichwort Maskenaffäre). In der Politik undenkbar, wird eine solche Sippenhaft mit der Landwirtschaft durch die jetzige Methodik praktiziert.

Das könnte Sie auch interessieren