Donnerstag, 12. Dezember 2024

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Stichwort: Hundertjährliches Hochwasser

Petershagen. Hochwasser hat Menschen, die in Flussnähe wohnen, zu allen Zeiten berührt. Geht es doch um Hab und Gut und in Extremfällen sogar um die Gefährdung von Leib und Leben. Doch wurden die Auswirkungen früher meist weniger katastrophal empfunden. “Wenn die Weser im Anmarsch war, haben wir in meiner Jugendzeit ohne viel Aufhebens die Koffer gepackt und sind für eine Woche zu Verwandten gezogen. Das war ganz selbstverständlich”, berichtet Hubert Horstmann, dessen Haus in der Petershäger Fischerstadt steht, von Erlebnissen in seiner Jugendzeit. Und mit der glei-chen Selbstverständlichkeit ging es nach der Rückkehr bei Horstmanns an die Beseitigung des Schlamms, den die Weser hinterlassen hatte.

Am Pfeiler der ehemaligen Windheimer Fähre vermitteln die Hochwassermarken einen plastischen Eindruck von der Höhe der Weser bei vergangenen extremen Hochwasserlagen. Im Hintergrund auf der anderen Weserseite Hävern.
Foto: Dr. Dietmar Meier

Umziehen galt übrigens auch für die Kühe, die im Überschwemmungsgebiet zuhause waren. Die vom Hof Wulfmeyer beispielsweise wurden von der Fährstraße auf den Hopfenberg zum Hof Wehking umquartiert, was im Winter schon mal erhebliche Platzprobleme im Kuhstall mit sich bringen konnte.

Heute wird verstärkt auf Vorsorge gesetzt. Nach den Erfahrungen mit extremen Hochwasserereignissen an der Elbe und der Donau wurden inzwischen auch für die Weser Risikobewertungen angestellt und Gefahrenpläne für Extremsituationen entwickelt. 

Nach dem Wasserhaushaltsgesetz sind die Bundesländer verpflichtet, Überschwemmungsgebiete amtlich auszuweisen. Für den nordrhein-westfälischen Weser-Abschnitt zwischen Porta und Petershagen wurde die bis dato gültige Verordnung erst 2014/15 überarbeitet und das Überschwemmungsgebiet durch die Bezirksregierung Detmold neu festgesetzt. Für dessen Abgrenzung und kartenmäßige Darstellung legt man allgemein ein Hochwasser mit einer Ausdehnung zugrunde, die statistisch gesehen einmal in 100 Jahren zu erwarten ist.

Das Haus der Familie Horstmann in der Petershäger Fischerstadt. Die Aufnahme stammt ungefähr aus dem Jahr 1930. Quelle: Hubert Horstmann

Die Ermittlung, welche Flächen bei einem “Jahrhunderthochwasser” aller Wahrscheinlichkeit nach überflutet werden, ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Historische Aufzeichnungen und Hochwassermarken geben Anhaltspunkte für Reichweiten extremer Überflutungen über einen Zeitraum von einigen 100 Jahren, reichen aber für zeitgemäße detaillierte Kartendarstellungen nicht aus. Heutige Berechnungen basieren auf Messungen an Pegeln, an denen die Höhe des Wasserstandes kontinuierlich erfasst wird.

Eine solche Pegelmeßstelle befindet sich in Petershagen am westlichen Weserufer nördlich der Weserbrücke. Verantwortlich für den Pegel ist das Wasser- und Schifffahrtsamt (WSA) Verden. Der tagesaktuelle Wasserstand sowie die Werte der jeweils letzten 7 bzw. 28 Tage können über verschiedene Internetseiten der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung online abgerufen werden, u.a. unter www.pegelonline.de und unter www.elwis.de.

Die Meßdaten des Pegels seit 1986 sind digital aufbereitet in den Wasser- und Schiffahrtsämtern einsehbar. In den vergangenen 30 Jahren stieg die Weser am Pegel Petershagen mehrfach bis auf eine Höhe um 7,50 m an. Mit 7,67 m wurde der höchste Wert am 2. Februar 1995 gemessen. Noch deutlich höher war die Weser beim Hochwasser Anfang Februar 1946, das mit einem Jahrhunderthochwasser vergleichbar war. Über den genauen Wasserstand am Pegel Petershagen finden sich allerdings unterschiedliche Angaben. So sind auf den genannten Internetseiten der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes 8,80 m notiert, während auf der Internetseite des WSA Verden 8,33 m verzeichnet sind. Auch bei einer telefonischen Rückfrage beim WSA Verden ergab sich keine kurzfristige Erklärung für diese Diskrepanz.

Der nördlich zur Weserbrücke gelegene Pegel zur Wasserstandsmessung.
Foto: Krischi Meier

Mit Hilfe von Pegeldaten lassen sich für die betreffenden Flussabschnitte auch die Abflussmengen bei Hochwasser berechnen. Wertet man die  Höchstwerte aller Jahre eines längeren Messzeitraums mit statistischen Verfahren aus, erhält man Wahrscheinlichkeiten, in welchem zeitlichen Abstand bestimmte Abflussmengen im Mittel auftreten. Dieser Zeitabstand wird mit dem Begriff Jährlichkeit beschrieben. Bei einem 100-jährlichen Hochwasser ist die Abflussmenge demgemäß so groß, dass diese statistisch gesehen nur alle 100 Jahre einmal vorkommt. In der Fachsprache wird dafür das Kürzel HQ100 oder HQ100 verwendet.

Für die kartenmäßige Darstellung von Überschwemmungsgebieten kombiniert man heute hydraulische Modellrechnungen mit digitalen Geländemodellen. Geländehöhen werden dazu von der Landesvermessung mittels Laserscan- oder Radarbefliegungen ermittelt. Auf diese Weise ist es auch möglich, die Überschwemmungsflächen in einer Karte mit einer Darstellung von Wassertiefen zu versehen. Als Auftragnehmer der Bezirksregierung Detmold im Arbeitsfeld Hochwasserplanungen ist seit Jahren das Mindener Planungsbüro Sönnichsen & Partner tätig.

In der Stadt Petershagen sorgt das Thema Hochwasser auch aktuell für Diskussionsstoff. So informierten Mitarbeiter der Bezirksregierung unlängst bei zwei Veranstaltungen über die notwendige Sanierung der Weserdeiche, die die Ortschaften Schlüsselburg und Hävern schützen.

Im Februar 1946 war auch die Mindener Straße Ortskern Petershagens überflutet. Hinten links das Amtsstubenhaus, das derzeit restauriert wird. Foto aus dem Archiv der Ortsheimatpflege Petershagen, Dank an Uwe Jacobsen!

Eine Neubewertung im Januar dieses Jahres war zum Schluß gekommen, dass die Standsicherheit beider Deiche nicht mehr gewährleistet ist. Die Bezirksregierung sieht die Notwendigkeit für Sofortmaßnahmen zur Gefahrenabwehr, denen eine dauerhafte Sanierung der Deiche folgen muß. Der Teufel steckt dabei nicht nur im technischen Detail, denn ein Großteil der betroffenen Flächen ist im Privatbesitz. Zudem gilt es, Hochwasserschutz und Naturschutz im EU-Vogelschutzgebiet Weseraue unter einen Hut zu bringen. Und natürlich geht es um die Sanierungskosten, die auf die Stadt Petershagen zukommen, auch wenn ein Teil davon durch Förderungen des Landes NRW übernommen werden sollte. Konkrete Planungen liegen noch nicht auf dem Tisch, doch wurde allseitig Dialogbereitschaft bei der Suche nach praktikablen Lösungen signalisiert.

Auch bei der weiterhin geplanten Errichtung einer Gleisschotteraufbereitungsanlage im Lahder Gewerbegebiet durch die Firma Ahrens spielt das Thema Hochwasser eine gewichtige Rolle.

Das Grundstück der Fa. Ahrens im Lahder Gewerbegebiet. Foto: Dr. Dietmar Meier

Für Überschwemmungsgebiete gelten gemäß Wasserhaushaltsgesetz (WHG) besondere Schutzvorschriften. Untersagt ist u.a. die Errichtung baulicher Anlagen, das Vertiefen der Erdoberfläche sowie das Ablagern von wassergefährdenden Stoffen auf dem Boden. Vor diesem Hintergrund sorgten Baggerarbeiten auf dem Ahrens-Grundstück (Bild oben) und die Einbringung großer Mengen von Recyclingmaterial im Sommer 2016 für massive Proteste aus der Bürgerschaft. Die Überschwemmungsgebietskarte auf der Internetseite der Bezirksregierung Detmold dokumentierte zu diesem Zeitpunkt, dass Teile des Grundstückes bei einem 100-jährlichen Hochwasser überflutet würden (Ausgabe 01/2017 des Petershäger Anzeigers). In Sachen Bebauung des Grundstückes hätten zu diesem Zeitpunkt also die Restriktionen des WHG greifen müssen. Kritischen Fragen von BUND-Vertretern begegneten Mitarbeiter der Bezirksregierung zunächst mit dem Hinweis auf eine lokale Neuermittlung des Überschwemmungsgebietes wegen fehlerhafter Höhendaten des Kanaldamms, wonach das Ahrens-Grundstück nicht im Überschwemmungsgebiet liege, später dann mit dem Hinweis auf eine irrtümliche Vertauschung von Karten. Wesentliche Fragen blieben dabei allerdings unbeantwortet. Eine Akteneinsicht in der Bauverwaltung der Stadt Petershagen zum Verfahrensablauf bei der Festsetzung des Überschwemmungsgebietes Weser 2014/15 brachte dazu neue Erkenntnisse, die derzeit aufbereitet werden. Eine ausführliche Dokumentation zum Thema kann nach Fertigstellung unter www.petershaeger-anzeiger.de eingesehen werden.

Text: Dr. Dietmar Meier

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