Lahde. Nachdem die Bezirksregierung Detmold auf drängende Fragen zum Überschwemmungsgebiet (ÜSG) Weser im Bereich des Ahrens-Geländes trotz Verpflichtung gemäß Umweltinformationsgesetz nur diffus, widersprüchlich oder gar nicht geantwortet hatte, hatte sich der Petershäger Anzeiger im Januar 2019 an die Umweltministerin des Landes NRW, Ursula Heinen-Esser, mit der Bitte um Aufklärung gewandt.
Mitte April traf die Antwort aus dem Umweltmisterium ein. Zusammen mit weiteren Informationen, die zwischenzeitlich beim Petershäger Anzeiger eingegangen sind, ergibt sich zu zwei der angefragten Sachverhalte derzeit folgendes Bild.
Wann genau wurden die Modellrechnungen durchgeführt, die der Ausweisung des Überschwemmungsgebietes Weser 2015 zugrunde liegen und wer hat diese Berechnungen durchgeführt?
Zu dieser Frage teilte das Umweltministerium mit: „Grundlage der Festsetzung ist ein zweidimensionales Hydraulikmodell der Weser, das vom Ingenieurbüro Sönnichsen und Partner, Minden, im Jahr 2011 im Auftrag der Bezirksregierung Detmold aufgestellt wurde. Die Fortschreibung des Hydraulikmodells der Weser und die Neuberechnungen wurden nicht von einem Ingenieurbüro, sondern von der Bezirksregierung selbst vorgenommen.“ Aus einer eigenen Akteneinsicht ergab sich, dass die Bezirksregierung den Auftrag 2009 vergeben hatte.
Was hat die Bezirksregierung Detmold veranlasst, die Fläche vor der Inkraftsetzung der Verordnung aus dem Überschwemmungsgebiet herauszunehmen?
Dazu teilt das Ministerium mit, dass speziell die Karte im Stadtgebiet Petershagen fehlerhaft war: „Der Fehler lag darin, dass der im Stadtgebiet von Petershagen östlich der Weser verlaufende Damm des Schleusenkanals nicht durchgehend mit der tatsächlichen Höhe im Modell abgebildet war.“
Damit nimmt das Ministerium die Erklärung wieder auf, die die Bezirksregierung Ende 2016 herausgegeben hatte, bevor ab Anfang 2017 von einer fälschlicherweise ins Internet gelangten Karte geredet wurde. Explizit ausgedrückt: Kern der Angelegenheit ist demnach eine fehlerhafte Berechnung.
Bei einem Blick auf die rechts dargestellte Zeitschiene wird deutlich, dass das Schreiben des Ministeriums an einem entscheidenden Punkt vorbei geht. Sowohl die Bezirksregierung (BR) als auch jetzt das Umweltministerium haben darauf hingewiesen, dass der Fehler „im Rahmen einer Einzelfallprüfung im Zusammenhang mit einer Anfrage zu einem benachbarten Grundstück“ festgestellt wurde. Dazu findet sich in den Akten auch ein Schriftverkehr. Ein Mitarbeiter der BR bittet einen Kollegen aus dem Hochwasserschutz (der demnach mit den Modellrechnungen vertraut ist) am 7.3.2016 um Angabe eines HQ100-Wertes für eine Fläche neben dem Ahrens-Areal. Aus der Antwort vom 17.3.2016: „.. bei der Bearbeitung deiner Anfrage ist aufgefallen, dass es im 2D-Modell eine Unstimmigkeit im Zusammenhang mit dem Schleusenkanal gibt… In der Anlage ist ein Screenshot mit der ungefähren neuen Ausdehnung. Ich möchte dich bitten, diesen nicht weiterzugeben, da noch eine Nachbearbeitung erfolgt.“
Das war wohlgemerkt im März 2016. Aus dem ÜSG „verschwunden“ ist die Ahrens-Fläche jedoch bereits ein Jahr zuvor, Ende 2014/Anfang 2015 (auf dem Zeitplan durch einen Pfeil markiert), und das ohne bislang ersichtlichen Grund, aber mit erheblicher Konsequenz: Gerade mal fünf Monate nach der amtlichen Festsetzung des ÜSG wird ein Anwalt der Firma Ahrens bei der Stadt wegen des Vorkaufsrechtes für das Ahrens-Gelände vorstellig. Hätte das zu diesem Zeitpunkt noch im ÜSG gelegen, hätte die Stadt aus rechtlichen Gründen das Vorkaufsrecht gehabt. Durch die Herausnahme aus dem ÜSG wurde ihr dieses Recht praktisch entzogen.
Nächste Ungereimtheit: Der Abteilung Emissionsschutz der Bezirksregierung, die für die Bearbeitung des Ahrens-Antrages zuständig ist, scheinen die zitierten Emails aus dem Hochwasserschutz verborgen geblieben zu sein. Am 15. Juli 2016, also vier Monate (!) nach Feststellung der zitierten „Unstimmigkeit“, informiert der Emissionsschutz die Firma Ahrens darüber, dass ihr Grundstück im ÜSG liegt.
Der Petershäger Anzeiger hatte schon auf offensichtliche Fehler bei der Hochwasserberechnung im Bereich des Riehebach-Dükers hingewiesen. Zwischenzeitlich wurde bekannt, dass es Fehler und Korrekturen auch im Bereich des Raiffeisen-Geländes am Kükenpaulsweg gab, wo derzeit neue Anlagen errichtet werden (dazu an anderer Stelle). Daraus ergeben sich neue Fragen: Waren die Fehler schon in dem Produkt enthalten, das die Firma Sönnichsen 2011 an die BR geliefert hat oder sind diese erst später in der BR produziert worden? Wie vertrauenswürdig ist dieses Produkt überhaupt noch? Und was für Konsequenzen hat es eigentlich, wenn ein Auftragnehmer möglicherweise von einem Tag auf den anderen zur „Aufsichtsbehörde“ seiner eigenen Arbeit wird? Denn der Mitarbeiter der BR, der die „Unstimmigkeiten“ vermeldet hat, war früher bei der Firma Sönnichsen tätig.
Text und Foto: Dietmar Meier