Donnerstag, 28. März 2024

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Von der „Petershäger Weseraue“ zum EU-Vogelschutzgebiet „Weseraue“

Petershagen. Die Bemühungen des Vogelschutzes reichen in der hiesigen Weseraue bis in die 1960er Jahre zurück. Der Schwerpunkt lag anfänglich vor allem im circa 5,5 km langen, heutigen Naturschutzgebiet „Staustufe Schlüsselburg“. Die hier vorhandene, weitgehend vom Schiffsverkehr freie Weserschleife besaß bereits damals eine enorme Bedeutung als Überwinterungsgebiet für Wasservögel, vornehmlich für Tafel- und Schellenten. Ursächlich dafür war, neben der Lage an wichtigen Vogelzugrouten, das massenhafte Vorkommen des Tigerflohkrebses Gammarus tigrinus, der in der stark von Kali-Endlaugen versalzenen Weser beste Bedingungen vorfand und den Wasservögeln dementsprechend einen reich gedeckten „Tisch“ bot. Eine wichtige Nahrungsbasis, vor allem für die Tauchenten, ist auch die Wandermuschel Dreissena polymorpha, die ursprünglich aus dem Schwarzmeergebiet stammt und hier über den Schiffsverkehr eingeschleppt wurde.

Die ornitho-geographische Lage des Vogelschutzgebietes wird zum einen bestimmt durch die Nachbarschaft der Binnenseen „Steinhuder Meer“ und „Dümmer See“, zum anderen durch die Leitlinienwirkung des Weserberglandes wie auch der Weser, die den Zuzug vieler Wasservögel aus nördlicher und östlicher Richtung nach sich ziehen.

Durch den fortschreitenden Kiesabbau waren in der Weseraue zahlreiche größere Gewässer entstanden, die in Verbindung mit den angrenzenden Ackermarschen ebenfalls eine große Anziehungskraft auf verschiedene Wat- und Wasservögel hatten und noch heute besitzen. Ab den 1970er Jahren bis heute vergrößerte sich das Schutzgebiet deshalb auf ca. 3000 ha und umfasst die heutigen Naturschutzgebiete „Häverner Marsch“, „Grube Baltus“, „Mittelweser“, „Windheimer Marsch“, „Lahder Marsch“ und „Weseraue“. Diese Naturschutzgebiete beinhalten vornehmlich renaturierte Kiesabgrabungsgewässer mit ihrem naturnahen Umfeld. Das Naturschutzgebiet Weseraue umfasst zusätzlich die wesernahen Grünlandflächen und bildet somit einen Verbindungskorridor zwischen den Abgrabungsgewässern. Bereits seit den 1980er Jahren stellten die Wiesen und Ackerflächen in der Wesermarsch zunehmend einen wichtigen Überwinterungsbereich für nordische Gänse und Schwäne dar.

Rückblickend betrachtet, hat sich das EU-Vogelschutzgebiet „Weseraue“ zu einem einzigartigen, international bedeutsamen Feuchtgebiet entwickelt. Es ist eines der herausragenden Brut-, Mauser-, Rast-, Durchzugs- und Überwinterungsgebiete vor allem für Wat- und Wasservögel in NRW und ist als EU-Vogelschutzgebiet ein wichtiger Bestandteil des kohärenten europäischen Netzes NATURA 2000. So finden sich hier während der Wintermonate große Bestände von nordischen Bläss- und Saatgänsen sowie von Singschwänen, Schellenten, Gänse- und Zwergsägern ein. Insbesondere für diese wandernden Vogelarten stellt das Gebiet einen wichtigen Trittsteinbiotop im internationalen Biotopverbund dar. Dies hat letztlich bereits 1983 zur Anmeldung als EU-Vogelschutzgebiet geführt.

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Sowohl mit der Anmeldung als „Feuchtgebiet von internationaler Bedeutung“ gemäß der Ramsar-Konvention, als auch mit der Ausweisung von mittlerweile sieben Naturschutzgebieten wurde im internationalen und auch im regionalen Kontext der Bedeutsamkeit des SPA-Gebietes (Special Protected Areas) Rechnung getragen. Die großflächigen Grünlandbereiche, die sich überwiegend im Eigentum des Landes NRW, des Kreises Minden-Lübbecke sowie der Nordrhein-Westfalenstiftung befinden, sind während der Brutzeit nicht nur wichtiger Nahrungsraum für den Weißstorch, sondern stellen auch das Brutgebiet für diverse Wiesenvogelarten dar. In den durch Optimierungsmaßnahmen entwickelten Staudenfluren kann neben dem Feldschwirl auch der Wachtelkönig wieder wahrgenommen werden und gezielte Röhrichtentwicklungen in der Vergangenheit haben dahingehend Früchte getragen, dass sich mittlerweile über 100 Brutpaare vom Teichrohrsänger angesiedelt haben, die Rohrweihe ihren natürlichen Lebensraum zurückgewonnen hat und ab und zu sogar der Drosselrohrsänger wieder zu hören ist. Nicht zuletzt haben die Pflege und die bisher durchgeführten Optimierungsmaßnahmen sowie die Beweidung mit extensiven Rinderrassen an den ehemaligen Kiesgewässern Brutmöglichkeiten unter anderem für Zwergtaucher, Löffelente, Knäkente, Schnatterente, Flussregenpfeifer und Flussseeschwalbe sowie ein Paradies für Neuntöter geschaffen.
Das Gebiet wird bereits seit 1985 von der Biologischen Station Minden-Lübbecke im Auftrag des Landes NRW und des Kreises Minden-Lübbecke betreut.

Text: Jutta Niemann (Biologische Station Minden-Lübbecke), Fotos: Dietmar Meier (2),  Stefan Geschke (1)

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