Ovenstädt. Zur dritten Gesprächsrunde unserer Reihe über das Leben in den Dörfern ging es Anfang Oktober nach Ovenstädt. Dort traf ich im Garten der Glashütte Andreas Reckeweg, Vorstandsmitglied im Ovenstädter Karnevalsverein (OKV) und seine Tochter Anna mit ihrem Verlobten Daniel Zumpe, die zusammen das aktuelle Prinzenpaar des OKV bilden. Mit dabei waren auch Jutta Grabert, die in der Glashütte tätig ist und eine Ausbildung zur Natur- und Landschaftsführerin gemacht hat und entsprechende Führungen anbietet, sowie Hermann Meier, der als Landwirt im Nebenerwerb ebenfalls sehr gut mit der Landschaft rund um Ovenstädt vertraut ist. Und die bildete auch gleich das erste Gesprächsthema.
In Ovenstädt wohnen aktuell circa 1300 Menschen auf knapp sechseinhalb Quadratkilometern. Es gibt nur wenige Betriebe. Aber landschaftlich — mit der Weser, den Kiesteichen und sogar einer eigenen Badestelle – lebt man hier auf einem besonders schönen Fleckchen Erde, darüber waren sich alle einig. Die Freude darüber ist jedoch nicht ungetrübt.
„Das Bild in der Wesermarsch hat sich komplett geändert“, beschreibt Hermann Meier. Gab es früher längs der Weser kleinere Parzellen, auf denen Pferde oder Kühe weideten, sind die Weserwiesen jetzt komplett unter Naturschutz gestellt. Die Beweidung ist hier nun verboten. Stattdessen werde das Gras jetzt großflächig auf einen Schlag gemäht. „Wir haben jetzt zwar reichlich Störche, aber die Vielfalt in der Natur ist dadurch kleiner geworden.“
Das Betretungsverbot der Wiesen, das mit der Einrichtung des Naturschutzgebietes längs der Weser verbunden ist, sorgt darüberhinaus für Konflikte, ob aus Unkenntnis oder mangelndem Verständnis. Selbst manche Ovenstädter wüßten nicht genau, wo man sich aufhalten darf und wo nicht. Das sorgt zum Teil für Streit, wie Jutta Grabert aus eigener Erfahrung weiß. Etwa, wenn Spaziergänger Hinweisschilder ignorieren und ihre Hunde in den Wiesen toben lassen. Nach entsprechenden Hinweisen hätte sie auch schon Anfeindungen hinnehmen müssen. „Die Natur muss irgendwo auch für Menschen zugänglich sein“, befürwortet Hermann Meier und hofft, dass der Naturschutz dadurch ernster genommen wird. Durch zu viele Einschränkungen habe die Politik der vergangenen Jahre eher das Gegenteil bewirkt.
Ein besonderes Aushängeschild für Ovenstädt ist natürlich der Karneval. Zum Rosenmontagsumzug kommen jedes Jahr sehr viele Besucher nach Ovenstädt, um dort ausgelassen Karneval zu feiern. Waren es in den Anfängen hauptsächlich Einwohner aus Ovenstädt und den umliegenden Dörfern, zieht der Karneval heute auch viele Jugendliche von weiter weg an, „selbst aus Bückeburg, Espelkamp und Lübbecke“, erklärt Andreas Reckeweg. Der Karneval ist auch eine Institution, die die Vereine in der Ortschaft zusammenbringt. „Ohne die Unterstützung aus den anderen Vereinen und der Feuerwehr könnte der OKV-Veranstaltungen wie die Prunksitzungen oder den Rosenmontagsumzug nicht auf die Beine stellen.“
Für Anna, die in der Tanzgarde des OKV aktiv ist, und Daniel, der durch sein Mitwirkung bei den Wesermusikanten zum Ovenstädter Karneval gekommen ist, bedeutet das Engagement im Verein Spaß haben und kreativ sein. „Natürlich gehört auch eine Menge Arbeit dazu. Der Spaßfaktor überwiegt aber deutlich“, sagt Anna. Seit diesem Jahr gestaltet die Tanzgarde ihre Tanzauftritte schon in Eigenregie. Das Mitgestalten sei ein schöner Ausgleich neben Beruf oder Studium. Der Erfolg zeige, dass sich das auch lohne.
Dass Landflucht in Ovenstädt kein Thema ist, zumindest nicht im herkömmlichen Sinne, hätte ich nicht gedacht. Seit ein paar Jahren fände ein Strukturwandel statt, erklärt Andreas Reckeweg. Die kleinen Läden seien alle weg, ältere Menschen verkaufen ihre Häuser, um in eine zentralere Lage zu ziehen. Die Häuser werden vielfach von jungen Familien übernommen, die ein Leben auf dem Land beginnen. Auch ein Indiz dafür: „Auf dem Fahrradweg sind vermehrt Kinderwagen unterwegs.“ Glücklicherweise sei der Emmaus-Kindergarten erhalten geblieben.
„Petershagen liegt in etwa in der Mitte zwischen Osnabrück, Bremen, Hannover und Bielefeld. Die B61 verbindet die Orte, man kommt mit dem Auto innerhalb einer Stunde in jede Richtung in eine größere Stadt“, sieht Andreas Reckeweg die Lage als Pluspunkt. Vermutlich spiele dabei auch die Preisfrage eine Rolle. Trotz der schönen Landschaft an der Weser kann man in Ovenstädt für verhältnismäßig wenig Geld ein Zuhause finden. Nach der Schließung der Grundschule 2011 wurde darin ebenfalls attraktiver und bezahlbarer Wohnraum geschaffen.
Wünschenswert sei in jedem Fall ein Ausbau der Infrastruktur und, wie fast überall auf dem Land des öffentlichen Nahverkehrs: „Wir müssen hier immer alles mit dem Auto erledigen“. Für alte Menschen sei das natürlich schwierig. Ob Berufstätige mit dem Auto in Richtung Minden oder Nienburg unterwegs seien, ob Kinder und Jugendliche von ihren Eltern zu Freunden, zum Training oder zu Veranstaltungen gefahren werden, besonders auf der alten B61 sei der Autoverkehr zeitweise enorm.
Der Karnevalsverein verbindet auch alle Altersgruppen im Dorf. Hier ist jede Generation zwischen sechs bis 80 Jahren aktiv, schätzt Andreas Reckeweg das Alter der Akteure. Angebote für ältere Menschen gibt es in Ovenstädt vor allem von Seiten der Kirchengemeinde. Unter dem Dach des Sportvereins gebe es viele Aktivitäten für verschiedene Alterssparten. Manche der älteren Gruppen seien gemeinsam „hochgealtert“, beschreibt Hermann Meier schmunzelnd, der selbst Teil der „Mittwochskicker“ ist. Zur sportlichen Betätigung gehört da auch die „dritte Halbzeit“ zum gemeinsamen Austausch. Mit dem zentral gelegenen Sportplatz, auf dem die Jugend- und Seniorenmannschaften trainieren, der Sporthalle und dem Schwimmbad, die demnächst wieder nutzbar seien, sei Ovenstädt in sportlicher Hinsicht sehr gut ausgerüstet. Auch die Turniere des Ovenstädter Reitvereins bringen sportliche Gäste nach Ovenstädt.
Und natürlich ist die Glashütte Gernheim ein besonderes Aushängeschild. Hier trifft man sogar auf Besuch aus dem Ausland, vor allem aus den Niederlanden und aus Dänemark, erklärt Jutta Grabert: „Die meisten Besucher sind sehr überrascht über die Größe der Anlage“. Das LWL-Industriemuseum bietet sogar Praktika für junge Menschen aus dem Ausland. Nicht selten kommen die später auch mit der Familie wieder auf einen Besuch vorbei. Etwas, das laut Andreas Reckeweg für alle ehemaligen und jetzigen Einwohner Ovenstädts gilt: „Jeder Ovenstädter kommt immer gerne zurück!“
Text: Annalena Sundmäker, Fotos: Dietmar Meier (2), Krischi Meier (1)