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Wenn der Besuch eines Handballspiels zur Herausforderung wird

Lahde. Martin „Hector“ Brase war bei fast allen Mannschaftsspielen seiner Kinder dabei – so auch beim Match der Frauenverbandsliga HSG Petershagen/Lahde, bei der seine Tochter Lisa Marie mitspielte, gegen die Damen vom HSV Minden-Nord 2 am Tag des traditionellen Neujahrsempfangs. 

„Normal“, würden Elternteile sagen. Nicht so bei ihm. Der 54-jährige aus Quetzen ist seit Ende 2016 unheilbar an ALS erkrankt und auf einen Pflegerollstuhl angewiesen. Bereits neun Monate nach der Diagnose musste er künstlich beamtet werden. Hinzu kommt, dass er in dem Rollstuhl von der Beatmungs-WG aus Nettelstedt zur Sporthalle nach Lahde transportiert werden musste – inklusive aller medizinisch notwendigen Geräte wie Sauerstoffflasche, Beatmungs- und Absauggerät sowie Pflegehilfsmittel.

Eine zeitlich aufwendige und kostenintensive Prozedur für Martins Familie, die die HSG Petershagen/Lahde und ansässige Kulturgemeinschaft gerne unterstützte. Die Zuschauereinnahmen vom 25. Januar wurden Familie Brase gespendet, ebenso wie die Spendengelder der Gäste. Zusätzlich kamen in einer gesonderten Spendenaktion „Für Hector“ innerhalb zehn Tagen 2548,96 Euro über einen PayPal-Moneypool zusammen.

„Hast du es gesehen?“ Stefanie Brase (56) drehte den Rollstuhl ihres Mannes immer in Richtung des rasanten Spielverlaufs. Der Blickwinkel seiner Augen ist aufgrund der ALS (Amyotrophe Lateralsklerose) sehr stark eingeschränkt, den Kopf kann er nicht bewegen. Dicht dabei ihr Sohn Mats Oliver. Gut positioniert zwischen den Zuschauerrängen fieberten alle Drei mit Lisa Marie mit, die vier Tore von 32 warf und mit ihrer Mannschaft den Sieg gegen HSV Minden-Nord 2 nach Hause holte.

Insgesamt gesehen kann man von einer bemerkenswerten Leistung sprechen, wenn man bedenkt, dass Stefanie Brase täglich ihren Vollzeitdienst verrichtet und mehrmals direkt im Anschluss nach Nettelstedt fährt, der 17-jährige Mats Oliver kurz vor dem Abitur steht und die 24-jährige Lisa Marie auf Lehramt studiert und gerade ihre Masterarbeit schreibt. „Auch sie versuchen, soviel Zeit, wie ihnen möglich ist, bei ihrem Vater zu sein. Die räumliche Trennung, die aufgrund der Kündigung des vorherigen Pflegedienstes wegen Personalmangels erfolgen musste, ist für alle nicht einfach“, erläuterte Stefanie Brase. Es vergeht keine Minute, wo sie ihrem Ehemann und Vater ihre tiefe Zuneigung zeigen.

„Die Familie nimmt bei uns einen großen Teil ein“, schilderte Lisa Marie. „Seit Weihnachten, als mein Vater in die Beatmungs-WG kam, ist sein Zustand relativ gleich geblieben, aber seine Augenbewegungen lassen nach. Damit seine Augen direkt auf den Sensor des Monitors treffen, um etwas schreiben zu können, muss der Monitor immer in seine Richtung gedreht werden.“ Wie bereits berichtet, kann Martin Brase aufgrund der Krankheit ausschließlich über die Augen kommunizieren. „Er ist in einem Einzelzimmer untergebracht und hört immer viel Musik. Außerdem guckt er gerne TV-Sport, vor allem Fußball, Wintersport, Skispringen und Biathlon“, freut sie sich für ihren Vater. „Aber der Zeitaufwand ist groß. Am Wochenende sind es rund vier Stunden, die ich mit ihm verbringen kann.“ Seit sechs Jahren spielt sie schon in der 1. Verbandsliga der Handballfrauen und es macht ihr großen Spaß. 

Lisa Brase läuft einen Gegenstoß auf dem Weg zu einem ihrer erzielten Tore. Familie Brase schaut im Hintergrund zu.

Auch Mats Oliver spielt Handball bei der HSG Petershagen/Lahde. Zudem engagiert er sich dort ehrenamtlich und trainiert eine Jugendmannschaft mit. In der Schule nimmt er an einer Theater- und einer Technik-AG teil, wobei Letzteres ihn mehr interessiert, wenn da nicht die veraltete Bühnenbeleuchtung in der Aula wäre, die mit der neuesten Software nicht vereinbar sei. Während des Handballspiels unterstützte er seinen Vater, den Rollstuhl zu drehen, damit dieser trotz seiner Einschränkung alles möglichst genau verfolgen konnte. Daneben umarmte er in der Halbzeitpause seine Schwester, um mit ihr gemeinsam liebevoll auf den Vater im Rollstuhl herabzuschauen, der die stille Minute mit seinen Kindern sichtlich genoss.

Überhaupt freue sich Martin Brase über die kleinen Dinge im Leben, erwähnte seine Frau. Sein Zustand sei zwar seit Weihnachten stabil, die Erkrankung schreite aber zunehmend voran. „Er weiß, dass die Zeit kommt, dass die Muskeln seiner Augen versagen und er mit ihnen dann nicht mehr schreiben kann“, so Stefanie Brase. Alle hoffen aber, dass es ihm möglich ist, seinen Kindern beim Handballspielen doch noch einmal zuzuschauen.

Die Spenden helfen Stefanie Brase und ihren Kindern, um Martin eine Teilhabe am sozialen Leben, die für viele andere ohne großen Aufwand selbstverständlich ist, zu ermöglichen. Ein Nachmittag, damit Martin Brase ein paar Stunden an Familienfeiern, zum Beispiel Geburtstagen der Kinder, oder solchen Veranstaltungen wie den Neujahrsempfang teilnehmen kann, kostet der Familie im Durchschnitt zwischen 250 und 300 Euro.

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Seinen Spitznamen habe er im Übrigen nicht erst in der damaligen Zeit als Fußballer, sondern vermutlich schon in seiner Schulzeit erhalten. „Hier ist er einfach allen als ‚Hector‘ bekannt“, so Stefanie Brase. „Es wird ja gesagt, Sport verbindet. Genau so ist es. Hier werden Freundschaften geschlossen, an die man sich erinnern kann.“ Tatsächlich wurde „Hector“ von zahlreichen Menschen am Veranstaltungstag persönlich begrüßt.

In diesem Sinne möchte Stefanie Brase, die selbst viele Jahre Handball spielte, auf den Mannschaftssport aufmerksam machen, der an dem Nachmittag für eine gut gefüllte Sporthalle sorgte. Die Zuschauerplätze waren bis zur letzten Reihe besetzt – um für „Hector“ zu spenden, dem Spiel der Damen beizuwohnen (Endstand 32:30) wie auch die 1. Herren des HSG Petershagen/Lahde gegen den HCE Bad Oeynhausen anzufeuern, die im Heimspiel mit 25:23 ebenfalls gewannen.

Zum Abschluss der Veranstaltung dankte Spartenleiter Bernd Schäkel allen Helfern, Sponsoren und sonstigen Unterstützern des Vereins. Petershagens Bürgermeister Dieter Blume und Lahdes Ortsbürgermeisterin Helga Berg ergänzten mit Grußworten den offiziellen Teil der Veranstaltung. Letztendlich richtete Stefanie Brase einen besonderen Dank an den Verein für die umfangreiche Unterstützung: „Sport verbindet Menschen über alle Grenzen hinweg. Sport ist eine Sprache, die jeder versteht. Sport bedeutet Fairness, Zusammenarbeit und Respekt.“

Der HSG Petershagen/Lahde betonte auf seiner Homepage: „Wir haben uns sehr über Martin Brases Besuch gefreut und sind von der Unterstützung aus dem Umfeld des gesamten Vereins überwältigt. An dieser Stelle deshalb nochmal herzlichen Dank!“

Text: Namira McLeod, Fotos: Namira McLeod (1), Krischi Meier (1)

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